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Full text of "HAIN 32"

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Sndra, der Blisgott. 


de HAIN. 


Heitschrift für Heidentum, (Naturreligion und 
thelemitische Philosophie 


Nr.32 6IONM 


Die letzte Nummer, für die Bäume sterben mußten 





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2 
Inhalt 


Nekrolog zur letzten Nummer 5.3 


Astrologie ım Jahreskreis: 
Widder - Stier - Zwillinge 
von Webewölfin S.5 


Musik für Heiden - eine Rubrik von Mona S. 24 


Wo werdet Ihr Hınweise auf die virtuelle 
Wiederauferstehung dieser Zeitschrift finden ? 
S. 4 


Heiden surfen durchs Internet von Alraune S.?21 


Frühling - eine Geistreise von Uta S.34 
Der Stammtisch für Heiden und Hexen in Berlin: Schon wieder ein neuer Treffpunkt ! 
3.23 
Mehr über männliche Spiritualität von Parzival S.9 


De Confessio Theiema von Frater l.C. S. 37 


Heidentum - die andere Religion von Fritz Steinbock S. 27 





NEKROLOG 


Eigentlich ist das die falsche Jahreszeit für eine solche Nachricht: 
Ey ut der letzte Hain aus Papier, den ihr hier in Händen haltet. 


Eingegangen ist er am Desinteresse aller Beteiligten, an ihrem 
- totalen Mangel ayı Kommuruikatiors- und 


- Kongentrationsfähigkeit, am ihrer Sprachlosigkeit gerade in 


keinen Dingen. 


- Das vielleicht Ätgendste in letzter Zeit war der völlig vermurkste 
 Internet-Auftritt des Hain: Großen Versprechungen seitens einer 


Verantwortlichen der Pagan Federation folgte eine monatelange 


 Sendepame. Und meine persönliche Büte, nach vier Monaten 
 Prüseng num vielleicht außer meiner Anschrift als Bestelladresse 


auch mal ein paar Texte von mir auf der Seite zu finden, wurden 


mit hartnäckigen Ausreden quittiert. 


Ex gab für mich positive Augenblicke in der Zmammenarbeit mit 
Alraune und Robin. Aber letztlich sind wir gescheitert - und ich 


sehe keinen Grund dafür, daß ich mir die Schuld daran gebe. 
Ich bin immer noch auf der Suche nach Leuten, für die 


Kontwuutät, Kongentration und Eindringungstiefe immer noch 
mindestens ebenso wichtig sind, wie Entertainment. 


| Ein weiterer Grund für Veränderungen: Bisher habe ich an der 


Idee fest en, im Hain eine Art Forum für unterschiedlichste 
Strömungen des Hexenkulty und Heidentums zw ermöglichen. 
Gerade diese Nummer zeigt das wohl auf exemplarische Weise. 

In Zukunft habe ich aber einfach keine Lust mehr darauf, Dienste 
für andere zw leisten, die selber nicht in der Lage sind, etwas 
Vergleichbares auf die Beine zw stellen. 

Außerdem bin ich mittlerweile der Meinung, daß die 
herkömmlichen Formen des Neuheidentums wie Wicca, Asatrw 








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ursprünglichen Motiven heraus auf einer völlig neuen Ebene 
restrukturieren müssen. 

Ich sehe eigentlich meine Aufgabe darin, auf diesem Weg einige 
Schritte zw gehen. 

ich in all den 10 Jahren nie aufgeben hatte: Zw einer lebendigen, 
vielseitigen Kommunikation über Inhalte von Artikeln mit den 
Lesern zw kommen. Das ist im Internet wesentlich einfacher - mit 
weitaus geringerem Aufwand... 

Ein Wort noch an alle Leser, die in letzter Zeit für ein Abo bezahlt 
haben: Damit sich niemand betrogen fühlen muß, erhält jeder 
dieser Leserinnen und Leser Anfang Dezember eine Art Jahrbuch, 
bei dem ex um die herkömmlichen Hain-Themer gehen wird. 


Einen fröhlichen Frühling und viel Spaß beim Lesen wünscht 
Euch Paryival 


Impressum 


Matthias Wenger - Ostender Str. 2 - 13353 Berlin / Wedding 
Tel.: 030-45 493425 - D2-Netz 0173 - 930 059 5 
| e-mail: montsalvage@t-online.de 


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In folgenden Newsgroups werdet Ihr u.a. Mitte Juni Hinweise auf die 
Adresse des neuen HAIN finden: 














http://www. .pagan.at/ 
http://www.hexen-online.org/forum/Ultimate.cgi 
http ://www InsideTheWeb.com/messageboard/mbs.cgi?acct=mb404084&TL- 
http://f7 .parsimony.net/forum8944/wwwforum.cgi 
http://www.waldbaer.de/mag-net/kontakte.htm 
http://www fl 1.parsimony.net/forum17374/wwwforum.cgi 
http://fl1 8.parsimony .net/forum32639 
http://f12.parsimony.net/forum18077/wwwforum.cgi 
http://fLO.parsimony..net/forum14455/ | 








ASTROLOGIE IM 
JAHRESKREIS 


Von Webewölfin 


Seit fünf Jahren beschäftige ich mich mit Astrologie. Ich halte sie nicht für das AusschlieBliche, 


- aber für einen guten Schlüssel zum eigenen Selbst. Astrologie ist für mich lustvolle 


(Selbst)erkundung, Spiel, Weisheitssuche. Ich halte nichts davon, sich ständig bei seinem 


- Computer zu erkunden, ob die Transite auch wirklich günstig stehen für das Einkaufen, Ins-Kino- 


Gehen oder Freunde-Treffen. Da hat mir immer noch die eigene Intuition weitergeholfen. Auf die 
sollte man sich immer eher verlassen. Wer keine hat, mache sich zum Sklaven seines 
Astroprogramms. 


Astrologie ist Sternenlesen. Gelesen werden so ziemlich alle Sterne, die am Himmel stehen: Der 
Tierkreis, Sonne, Mond, die Planeten des Sonnensystems, von einigen auch Plejaden und Sınus. 
Aber etwas hat mir immer gefehlt, und glaubt mır, es hat lange gedauert, bis ich drauf kam, was: 
Es fehlt die Erde. Na klar, sagen die Astrologen, wir sind ja auch auf der Erde, da kann sie nicht 
für uns am Himmel stehen. Deshalb, weil wir von der Erde aus in den Himmel schauen, ist 
Norden im Horoskop unten und Osten lınks. 

Gut und schön. Am Himmel steht sie also nicht für uns, unsere Mutter, unsere schöne Blaugrüne. 
Aber trotzdem fehit sie mir im Horoskop. 


Als Heide ist es mir fremd, mein Schicksal so ausschließlich außerhalb von Ihr zu suchen. Sıe 
brachte mich hervor, und zu Ihr werde ich zurückkehren, und immer bin ich ein Teil von Ihr. Wie 
kann ich Sie ausklammern auf der Suche nach meinem Schicksal!” 


Nach vielen mehr oder weniger guten Astrologiebüchern stieß ich auf Solange de Mailly-Nesle: 
Astrologie. Geschichte, Tierkreiszeichen, Horoskop ... und Wissenschaft. 

Hier fand ich, wonach ich suchte und was mir meine Beobachtungen gezeigt haben: Die 
Verbindung der Astrologie mit dem Jahreskreis, mit dem, was auf Ihr geschieht. 

Leider ist das Buch vergriffen, bzw. im modernen Antiquariat. Die Abschnitte zum Jahreskreis 
halte ich aber für so bedeutend, daß ich sie einem heidnischen Leserkreis zugänglich machen 
möchte. Die Angaben beziehen sich auf die gemäßigten Zonen der nördlichen Halbkugel. 

Diese Angaben können durch eigene Assoziationen und Beobachtungen erweitert werden. 


6 
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März: Frühlingsanfang 








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Tr Es gsıbt die Frühjahrstagundnacht- T Der Widder ıst gespalten zwischen 
gleiche. den bewußten Werten des Tages und 


den unbewußten Werten der Nacht: Er 
weiß nicht, wo er hingehört. 





T Die Werte des Lebens setzen dıe un- 
bewußten Kräfte ın Gang: Das ıst ein 
impulsiver Vorgang, über den man nicht 
zu reflektieren braucht. 


T Doch sehr bald sıegt der Tag über 
die Nacht, es wird zunehmend heller. 





T Es ıst das Ende des Winters, die T Er handelt leidenschaftlich. 
Wärme sıegt über dıe Kälte, die Tempe- 
raturen steigen. 





T Die Sonne scheint, und die Knospen T Eristein Wesen mit Lebensdurst. Er 
öffnen sich. ist jeder List unfähig und stürzt sıch oft 
unüberlegt ın etwas hinein. 





T Die Natur wird satter: Die Säfte rT Erist überaus großzügig und sprüht 
steigen in die Triebe. vor Elan. 





T Erkann sich auch von zu vielen 
Unternehmungen locken lassen und 
sich verzeiteln. 


T Zum Frühlingsanfang brechen die 
jungen Triebe durch die Erde und 
zeigen sıch überall. 





T Die Tiere paaren sich. | ° Tr Erbesitzt Lebensinstinkt und dıe 
Fähigkeit zur Erneuerung. 


Der kardinale Frühling 





T Der Widder fühlt sich immer betrof- 
fen von etwas Beginnendem, er hat Er- 
oberungssinn und besitzt einen großen 

Tatendrang. 


T Der Winter endet, eine neue Jahres- 
zeit beginnt, der Frühling erwacht. 





Tr Der Widder ıst ein kardınales Tier- 
kreiszeichen. 








April: Frühlingsmitte 


% Der Stier ıst warmherzig, hhebens- 


Die Sonne s eigt am Hımmel immer 
ö ic onne steil “ass & l v 
wert, wohlwollend. 


höher und erwärmt die Erde. 


& Die Wirklichkeit trägt den Sıeg 
über das Unbewußte davon: Der Stier 
ist einfach, gesund, zuversichtlich. 


$ Die Tage werden länger, dıe Nacht 
zieht sich zugunsten des Tages zurück. 


% Der Stier ıst im Leben fest verwur- 
zeit: instinktiv, in Kontakt mit der Na- 
tur, von seinen Empfindungen geleitet. 


% Die Pflanzen dringen tief ın die Erde 
ein. Sie schlagen Wurzeln, um Nähr- 
stoffe aufzunehmen. 


8 Der Stier setzt Dinge in die Tat um: 


s Gras, Blätter, Pflanzen, dıe ganze j | 
Er verleiht Ideen Gestalt, führt sıe aus. 


Natur erblüht. 


» Der Stier hat eine sinnliche Natur 


& Die Gerüche vermengen sich, ein be- | 
mit starken Begierden. 


törender Duft verbreitet sıch. 


Der beständige Frühling 


rT—————— | 


&% Auf halbem Weg zwischen Winter- % Der Stier ist entschlossen, harınäk- 

ende und Sommeranfang ist der Früh- kig, geduldig. Er braucht lange, um sich 

ling eingezogen und entfaltet sich. festzulegen; in Freundschaft und Liebe 
ist er treu. 


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Der Stier ıst ein fixes Tierkreiszeichen. 
ET EEE ERENTO ERTL ENEERIERFENTEREENE SC AEHEE ZEIT HORB ET SUETE TA EUREN 





Mai: Frühlingsende 





u Die Säfte steigen in die äußeren 
Wipfel: Zweige und Blätter wachsen. 


I Getrieben vom ınstinktiven Appell 
des Lebens kann der Zwilling mehrere 
Dinge gleichzeitig tun. 


ı Die zahlreichen Eindrücke der Au- 
Benwelt vereinen sıch in ıhm zu einer 


ı Die Blätter nehmen die Luft mit 
allen Poren auf und verwandeln sıe 


rasch ın Blatterün. Synthese. 


12 Im Frühling flattern die Schmetter- 1 Erliebt Gesellschaft und ıst kon- 
lınge von Blüte zu Blüte. taktireudig. 

Man ıst in Eintracht mit der Natur 12 Der Zwilling findet sıch unter allen 
wälzt sich gern ım Gras und ist zu Umständen zurecht, er ıst ein überaus 
allem bereit. anpassungsfähiges Wesen. 





Der veränderliche Frühling 





1 Bald kommt der Sommer. der 
Frühling geht seinem Ende entgegen, es 
ıst eine Zeit des Übergangs. 


ı Der Zwilling ist ein veränderliches Zeichen. 


X Der Zwilling steckt voller Pläne. Er 
ıst eın schnelles Wesen, beweglich, 
ständig in Veränderung. 











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MEHR ÜBER 
MÄNNLICHE 
PIRITUALITÄT 


Eın BEITRAG ZUR INNEREN VERARBEITUNG VON MYTHOLOoGl UND 


PERSÖNLICHER GESCHICHTE 
von PaArZzIVAL 


Nachdem Robin in der vorigen Nummer die männliche Heidenwelt darauf aufmerksam gemacht 
hat, daß sich außer Gott-Mama auch noch eine ganze Menge männlicher Gestalten ın der 
Mythenweit tummeln, ergreife ich die Gelegenheit, meine eigenen Bezüge zu Göttern 
darzustellen. 

Ich beschreibe drei Gottheiten, die mir wertvoll und wichtig, deren Attribute und Wesenszüge 
zum Anknüpfungspunkt persönlicher Entwicklung wurden. 

Es sind der indische Gott Ganesha, der germanische Urriese Ymir und der deutsche Mephisto. 


Zuvor aber ein Wort zum Sinnzusammenhang. Für Frauen ist die Auseinandersetzung mit den 
Göttinnen wichtig, um in einer die Frauen abwertenden Gesellschaft zu einer eigenen, 
abgerundeten Identität zu gelangen. 

Was aber mag Männer dazu bewegen, Göttinnen zu verehren ? Ich meine, die Vermutung, daß 
hier die einstige Abhängigkeit von Mutters Rockzipfel auf einer sadomasochistischen Ebene 
ausagiert wird, läßt sich nicht ganz von der Hand weisen." 

Daran ändern auch solche Rationalisierungen nichts, wie die Aussage, die Erdgöttin sei nun mal 
eben weiblich und folglich müsse man als Naturfreund die große Mutter verehren. 

Als Mann aus der Abhängigkeit von der Mutter herauszutreten, bedeutet, die Frage zu stellen: 
Wer bin ich selbst ? 

Zu diesem Zweck. zur Anwort auf diese Frage stellen uns die heidnischen Mythen nun jede 
Menge an Gestalten zur Verfügung. 

Hier gilt es, zwei Irrtümer zu vermeiden. 1. Wenn ich mich mit mythischen Gestalten befasse, 
falien mir solche ins Auge, die meine Sympathien, mein Interesse wecken. Aber letztlich mache 
ich diese Gestalten zur Projektionsfläche - ich greife einzeine ihrer Züge heraus, an denen ich 
eigene Mythen weiterstricke, aus denen ich heraus diese Gottheiten neu erschaffe. So viel 








‘ Die Cance zu einer ernsthaften Auseiandersetzung mit diesem Thema bietet Sigmund Freud in: Die Zukunft einer 
INtusion von 1927 (Studienausgabe Band IX, Frankfurt a.M. 1982 








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10 
Einsicht muß da sein, um gleich dıe Idee im Keim zu ersticken, daß wir hier real an einem 
„uralten“ Kraftfeld partizipieren. Es ıst ein Selbstgespräch der menschlichen Seele, höchstens 
könnte daraus eın Gespräch mit anderen werden, die den gleichen Weg gehen. 
Zum andern geraten wir gern ın die Gefahr, in christlicher Manier zu Verehrern außerhalb von 
uns lebender spiritueller Individualitäten zu degenerieren. 
Ich bin der Meinung, daß eine neu-heidnische Gottesvorstellung nur durch die mystische 
Sichtweise qualifizierbar ist, daß wir selbst zu der Gottheit werden, die in unserer Vorstellung 
Bedeutung erlangt. 
Es ıst aber stillos und verspricht keinen produktiven Beitrag der Heiden zu einer neuen Epoche 
der menschlichen Kultur, wenn wir uns Götier „injizieren“, wie man eine neue Sorte Tortillas 
ausprobiert. 
Eine Gottheit erwächst mir nicht aus den Seiten eines Lexikons, sondern nur aus den Tiefen eines 
biographischen Wachstumsprozesses, so wie eine Blüte oder ein Ast oder Zweig aus einer 
Pflanze erwächst. 
Diese Vorbemerkungen waren mir wichtig, auf ihrem Hintergrund sei das Folgende zu verstehen. 


GANESHA - DER GOTT MIT DEM ELBEFANTENKOPF 


Wenn heute eine/r von 800 Millionen Hındus auf unserem Planeten ein neues Geschäft beginnt, 
ein Buch liest oder zu einem Vorstellungsgespräch geht, evoziert er zunächst einmal den Namen 
eines Gottes, dessen Elefantenkopf für Europäer mehr als irritierend ist. 

Dieser Gott, Sohn Shivas und Parvatis heißt auch Ganapati oder Vigneshwara. Und letzteres 
bezieht sıch auf die Alltagserfahrung, die jeder von uns in der Massengesellschaft täglich macht: 
Es gibt unvorhergesehene Hindernisse, die sich unseren Zielen in den Weg stellen - das Leben 
wird zum Hindemislauf. 

Ganesha steht in der Form von Vigneshwara als ein Gott zur Verfügung, der jederlei Art von 
Hindernis beseitigen kann - wenn man ihn vorher anspricht. Das hat zur Folge, daß er immer in 
Anspruch genommen wird, bevor man irgend etwas Neues beginnt. Auch dann z.B., wenn irgend 
welche anderen Götter angerufen werden, steht er an erster Stelle. 

Die Kehrseite der Medaille ist, daß uns Ganesha auch Hindernisse in den Weg stellen kann, 
wenn wır ihn ım entscheidenden Zeitpunkt ignorieren oder übergehen. 

Wer jemals gesehen hat, wie indische Elefanten als Arbeitstiere Baumstämme mit ihren Rüsseln 
beiseiterollen, wird sofort nachvollziehen können, welchen Stellenwert dieser Gott in der 
Bewältigung von auftauchenden Problemen hat. 

Die Tatsache, daß es sich um einen ziemlich alten Gott handeln muß, ergibt sich aus der großen 
Bedeutung des Elefanten für die Ökonomie der Region. 

Er muß darin schon immer mindestens so bedeutsam gewesen sein, wie der Stier im alten 
mediterranen Europa. 

Die Geburtslegende des Gautama Buddha zeigt die weite Verbreitung der mythischen Bedeutung 
des Elefanten im alten Asien: „Klar und bei vollem Bewußtsein ging er, als ein junger weißer 
Elefant mit sechs Stoßzähnen, zur rechten Seite in den Leib seiner Mutter ein, als diese gerade 
Fasttage hielt. Sein Kopf war purpurfarben, die Reihe der Zähne blitzte wie Gold, und er war mit 
allen Körperteilen wie Gliedern wohlversehen...“. Die Königin Maya war eingeschlafen und 
träumte: „Ein Prachtelefant, strahiend wie Schnee und Silber, ist tänzelnden Schrittes und mut 


gleichzeitiger Beseligung des Gemüts.... 





11 
diamantfesten Gelenken in meinen Leib eingegangen...Nie vorher habe ich etwas so Schönes 
gesehen und gehört, nie ähnliche Wonne empfunden. Es war ein Gefühl körperlichen Glücks und 
cc2 
Dieser Vorgang der Empfängnis Buddhas zeigt schon, daß der elefantenköpfige Gott auch eine 
spirituelle Dimension hat, die über die Funktion eines bloßen „‚Nothelfers‘“ weit hinaus geht. 
Im Tantra heißt es, daß Ganesha im Muladhara-Chakra, dem Wurzel-Chakra des menschlichen 


Körpers wohnt: 





(Abbildung aus : Satguru Sıvaya Subramunıyaswami : 
Loving Ganesha, Delhi 1998, S. 123) 


- In der Tat deutet diese Symbolik an, daß es sich bei Ganesha um einen Gott der ersten Ursache 

- handelt, die mit der heiligen Silbe AUM ebenso wie mit der Svastika in Verbindung gebracht 
- wird. 

- Diese erste Ursache ist ım Sinne einer ersten Bewegung zu verstehen, ınsofern, als das ın 

- Bewegung setzen der Lebensenergie Grundvorraussetzung aller Lebensprozesse ist. Erhärtet 


wird dieser Stellenwert des Gottes in dem ältesten Sanskrit-Text, in dem sein Name Erwähnung 
findet, der Aitareya-Brahmana 1.21, in der er mit Brahma, dem Ur- und Schöpfungsgott 


gleichgesetzt wird.‘ 


Mit der Vorschrift, man müsse zunächst immer erst Ganesha anrufen, bevor man ırgend etwas 
beginnt, ıst also eigentlich gemeint, daß man erst dann handeln sollte, wenn zuvor die 
Urbewegung des tiefsten Ursprungs stattgefunden hat. 


- Darin steckt jetzt für mich die lebendige Erfahrung, die Basıs meiner Identität ıst. Ich praktıiziere 


seit Jahren Mantram-Meditation. Und wenn ich in mehrstündiger Meditation meinen Geist 
gereinigt habe und das lebendige Emporströmen der Kraft aus der Tiefe des Wurzelchakras 
verspüre, sehe ıch anschließend alies, was ich dann tue, ın einem völlig anderen Licht. 

Hier geht es um eine Kultur, dıe Religion nıcht als Accessoire betrachtet, sondern als die 
Grundlage, aus der erst die Gesamtheit der menschlichen Existenz und Tätigkeit hervorgeht. 
Sicher ist es im Alltag nicht immer möglich, einer schwierigen Tätigkeit stundenlange Meditation 
vorrausgehen zu lassen. Oft genügt aber auch schon eine wenige Minuten andauernde 


Tr — 


? Zit. bei Gustav Mensching: Leben und Legende der Religionsstifter, München 1962, S. 181f. 
Satguru Sivaya Subramuniyaswami: Loving Ganesha, Delhi 1998, S. 117 
“T A.Gopinatha Rao: Elements of Hindu !conography, Vol.1, Part One, S.45, Delhi 1997 














12 
Gedankenstille, die eine völlig neue Fähigkeit zur Wahrnehmung der Welt und zur 
Aufmerksamkeit gebiert. 
Ferner ist an dieser Spiritualität bemerkenswert, daß das Ursprüngliche, das erste ın der Welt aus 
ihrer tiefsten Tiefe hervorgeht, nicht von der höchsten Ebene ! 
Nochmals zurück zur mythischen Symbolifikation. Der Name Ganesha ıst eigentlich 
zurückzuführen auf Gana-Isha, das heißt Herr der Ganas. Die Ganas sind die Heerscharen 
Shivas, seine Kräfte. 
Ganeshas Körper setzt eine Reihe interessanter Bezüge: So steht sein (abgebrochener) Stoßzahn 
in Beziehung zum abnehmenden und zunehmenden Mond’, der Rüssel hat phallischen Charakter, 
was sich insbesondere in seiner Form als Ucchishta Ganapati zeigt® (s. Abb. S.13 ). Sein 
überdimensionaler Bauch soll die Fülle des Universums verkörpern !” 
Der interessanteste Punkt ist aber, daß Ganesha einmal abgesehen von den früheren 
Inkamationen Vishnus der einzige Gott des Hindu-Pantheons ist, in dem sich menschliche und 
tierische Attribute verbinden. Das stellt eine gewisse Analogie zu Pan und den ägyptischen 
Göttern dar und gemahnt an eine religionsgeschichtliche Epoche, in der die Götter noch selbst 
tiergestaltig waren (während sie dann viel später nur noch bestimmte Tiere in ihrer Gefolgschaft 
mit sich führen). So richtet sich unsere Aufmerksamkeit auf die Ursprünge, dıe dıe Hindu- 
Mythen für ein menschengestaltiges Wesen mit Tierhaupt angeben. Diese Mythen sind völlig 
uneinheitlich und zeigen mit großer Deutlichkeit die Unbekümmerheit kreativen mythischen 
Erzählens. 
So berichtet ein Mythos, Parvati und Shiva hätten im Dschungel Elefanten beim Koitus 
beobachtet und sich daraufhin selbst in Elefanten verwandelt. So seı Ganesha gezeugt worden. 
Eine andere Geschichte erzählt, daß Parvati ihren eigenen Diener haben wollte. Sie badete und 
erschuf aus dem abgewaschenen Schmutz ihres Körpers ein Wesen, das sie bewachte. Als Shiva 
heimkam, stellte sich der von Parvati geschaffene Ganesha Shiva entgegen, so daß dieser ihm 
den Kopf abschlug. 
Um seine Gattin wieder zu versöhnen, sandte Shiva seine Diener aus, mit der Anweisung, das 
erste Wesen, dem sie begegneten, den Kopf abzuschlagen, um diesen als Ersatz für Ganeshas 
Kopf herbeizuholen. Es war ein Elefant und so erhielt Ganesha einen Eiefantenkopf. 
Diese Geschichte macht nicht nur deutlich, daß Ganesha offenbar Bezüge zu matriarchalischen 
Zeiten aufzuweisen hat, insofern, als die Göttin ihn ohne männliche Zeugung hervorbringt. Das 
Resümee des Mythos, die Konfrontation mit Shiva verweist dann aber zugleich auf den 
Kompromiß im Rahmen einer Gesellschaft, in der das Männliche und das Weibliche auf einen 
Ausgleich zusteuern. 
In einer weiteren Version heißt es nur, Parvati habe in großem Stolz dem Satum ihren 
neugebornen Sohn gezeigt. Doch dessen Anblick habe sein Haupt zu Asche verbrannt. 
Daraufhin habe ihr Brahma (!) geraten, seinen Kopf durch den des ersten Wesens zu ersetzen, 
das sie finden würde; und das war eben eın Elefant. 
Wieder ein anderer Mythos beschreibt einen Kampf, in dessen Gefolge Ganeshas menschliches 
Haupt durch den Kopf von Indras Elefant ersetzt wurde. Indra aber war der indoeuropäische 
Himmesgott der alten vedischen Zeit, so bedeutsam in Indien wie Zeus bei den Griechen oder 
Tyr/Ziu oder Odin bei den Germanen. 





: T.A.Gopinatho Rao: Elements of Hindu Iconography, S. 51 
ebd., S.54 
Vettam Mani: Puranic Encyciopaedia, Delhi 1998, S. 272 








Ucchishta Ganapatı 


I 























14 
interessant ist vor allem, daß der menschliche Kopf einem tierischen Ersatz weichen mußte: Im 
menschlichen Gehirn und seiner evolutionären Entwicklung liegt eine der maßgeblichen Gründe 
für die Entfremdung des Menschen von der Natur. 

Indem ich in der Meditation das abstrakte und assoziative Denken aufhebe, begebe ıch mich 
gerade in einen Zustand, in welchem ich die „Errungenschaften“ des spezifisch Menschlichen 
annuliere. Schon das ist ein guter Grund, einen tierköpfigen Gott in den Mittelpunkt seiner 
Aufmerksamkeit zu stellen. 

Meine persönlichen europäischen Projektionen veranlassen mich, in Ganesha eine Gestalt zu 
sehen, die Beharrungsvermögen, unerschütterliche Stärke und die Fähigkeit, in sich selbst zu 
ruhen repräsentiert. 

Ich finde es wesentlich, sich diese Eigenschaften in einer Epoche anzueignen, ın der es alle 
supertoll finden, ihre Lebensprozesse ständig ziel- und stufenlos zu beschleunigen. 

Ganesha ist mir auch deshalb sympathisch, weil er seine Kraft nicht zeigt, indem er zerstört, 
sondern eigentlich nur dadurch, daß er Lasten trägt, abträgt, wenn man ihn unterstützt und dies 
verweigert, wenn man ihn ignoriert. 


YMIR - DAS ALL IN SICH UMFASSEN 


Bei meinen Meditationen habe ich eine weitere seltsame Erfahrung gemacht, neben zableichen 
anderen Wahrnehmungen. Wenn man, nach den ersten ekstatischen Kaskaden der 
aufschießenden Lebensenergie nicht aufspringt, um diese Energie in Handlung umzusetzen, 
geschieht Folgendes: Ich habe das Gefühl, daß sich meine Seele, mein Bewußtsein im Raum 
ausbreitet, ja den Raum gleichsam erfüllt. Es ist so, als wenn ich nicht mehr auf meinem 
Meditationsstuhl bin, an einem Punkt im Raum, sondern als wenn ich zu einem Schwingungsfeld 
geworden bin, oder zu einem „raumfüllenden Etwas“. 

Allerdings ist dies nicht mehr ein Zustand innerer Abgeschiedenheit und Konzentration, wie er 
für den Vorgang der Mantrammeditation selbst charakteristisch ist. Es ist also kein In-sich-Sein, 
sondern eine völlige Offenheit gegenüber dem mich umgebenden Raum, ein „Hinausstrahlen”. 
Um für dieses Erleben, das für mich ein Höchstmaß an Stille und Eigenständigkeit darstellt, eın 
halbwegs angemessenes Symbol zu finden, sind mir alte Gestalten aus den Mythen aufgefallen, 
die das Weltganze verkörpern. So ein Wesen ist z.B. der nordische Ymir, von dem die jüngere 
Edda berichtet, die Urgötter hätten aus seinem zerstückelten Körper die Welt geschaffen, aus 
seinem Blut das Meer, aus seinem Fleisch die Erde, aus seinen Knochen die Berge, aus seinem 
Schädel den Himmel und aus seinen Haaren die Bäume usw.” 

Allerdings ist es ja wohl offensichtlich, daß hier eine indoeuropäische Fälschung vorliegt. Denn 
diese genaue Analogie zwischen seinen einzelnen Körperteilen und den Elementen der Natur 
deutet ja daraufhin, daß schon vorher ein lebendiger Zusammenhang bestanden haben muß”. 

Wir haben hier einen Konflikt zwischen einer bestimmten Art von Kosmologie, die die gesamte 
Welt als ein organisches Wesen wahrnimmt und zwar in dem Sinne, daß die körperliche 
Substanz dieses Wesens identisch ist mit dem Weltganzen'” und einer anderen Kosmologie, dıe 








® Rudolf Simek: Lexikon der germanischen Mythologie, Stuttgart 1984, S. 469f. 
° s. M. Wenger: Göttinnen und Götter, Bergen/Dumme 1994, S.205ff. 
10 Gewissermaßen würde es sich hier um eine Art animistischen Pantheismus handeln ! 








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Eh Aa La hr A bie 


15 

die Konkurrenz oder den Kampf verschiedener Individuen miteinander als konstituierenden 
Prozeß des Weltganzen betrachtet. 

Übertragen wir jetzt diese Symbolik auf das menschliche Individuum, so bieten sich zwei 
Sichtweisen: Bei der ersten Variante haben wır ein Wesen vor uns, das Autonomie und 
Verbundenheit mit der Welt zugleich verkörpert, bei dem der Kontakt zur Welt gleichsam einem 
organisch-physiologischen Prozeß gleichkommt. In der Kosmologie der drei Ur-Götter Odin, Vıli 
und Ve ist das Verhältnis zur Welt dadurch gekennzeichnet, daß man etwas verdrängt und 
kaputtschlägt, wenn man sich zu der Welt außerhalb in Beziehung setzt. 

In der ersten Variante sehe ıch den Ausdruck einer Kultur, in der sıch der Mensch durch ruhige 
Aufmerksamkeit und Zentriertheit in seiner eigenen Tiefe zum Mittelpunkt einer Welt macht, die 
wahrhaft seine Welt ist, in der ihn auch nichts „aus den Fugen“ bringen kann. 

Die polytheistische Ordnung indoeuropäischer Couleur findet sich wieder ın der Kriegsgeilheit, 
dem kapitalistischen Konkurrenzdenken, dem Verbrennungsmotor und dem Syndrom der 
multiplen Persönlichkeit. 

Ich bin jetzt der Meinung, daß die eingangs erwähnte Sıcht der Welt angenehmer und gesünder 
ist. 

Es gibt ähnliche Gestalten auch in anderen Systemen, die die Ganzheitlichkeit und 
Verbundenheit von Mensch und Umwelt in Bilder gefaßt haben: Z.B. der Adam Kadmon der 
Gnostiker und Kabbalisten oder Homo Maximus der christlichen Mystiker '' Simek (s.o.) sieht 
auch einen Zusammenhang mit dem indischen Yama, dem altiranischen Yıma und dem Tuisto 
aus der Germania des Tacitus. 

Die Idee, daß ein Mensch, der vollkommen mit seiner Umwelt verbunden ist, auch die 
vollkommene Kontrolle über das Geschehen in dieser Welt hat, läßt eine Querverbindung zu 
einem anderen Begriffskomplex zu, der uns aus der Psychoanalyse bekannt ist: Dem primären 
Narzißmus. Damit ist eine Art psychischer Urzustand aus der frühesten Kindheit jedes 
Einzelmenschen gemeint, in welchem noch nicht völlig bewußt ist, daß zwischen mir als 
Einzelwesen und der Welt um mich herum wirklich ein physischer Unterschied besteht. Dieser 
psychische Zustand ist das Erbe jener Lebensphase, die der Mensch in der Allverbundenheit des 
Mutterleibes verbringt. Natürlich wird dieser Zustand des Narzißmus normalerweise abgewertet 
mit dem Hinweis auf eine notwendige Anpassung an die „Realität“, hinter die der Mensch in 
seiner Entwicklung nicht zurückfallen dürfe. Aber die Problematik der Diskussion ist ungefähr so 
tiefgehend wie die Unfähigkeit vieler „Realitätsmenschen“, den Unterschied zwischen 
„kindisch“ und „kindlich“ wahrzunehmen. 

Der Begriff geht auf Narkissos zurück, eine griechische Sagengestalt. Narkissos soli ein 
Hirtenknabe gewesen sein, der sein Antlitz auf einer Wasseroberfläche erblickte und sich in sich 
selbst verliebte. Deshalb soll er das Liebesbegehren der Bergnymphe Echo verschmäht haben 
und zur Strafe in die nach ihm benannte Narzisse verwandelt worden seın. 

Man sieht schon, wie willkürlich Freud seine Projektionen auf diese Gestalt vorgenommen hat. 
Die ungeheure Bedeutung des Begriffs in der modemen Tiefenpsychologe bis hin zur 
Sozialphilosophie scheint sich in dem schmächtigen mythischen Fragment kaum wiederzufinden. 

Welche Assoziationen ergäben sich denn noch aus diesem mythischen Bild ? Sich selbst ım 
Spiegel wahrzunehmen heißt doch auch, sich selbst zu erkennen, seine eigene Wesensart 
aufmerksam zu betrachten. 





11 ausführlich erörtert bei Friedrich-Wilhelm Haack: Geheimreligion der Wissenden, München 1976, S. 53ff. 








r TE i u 
h ERSTEN IR A 





16 
Genau hier haben wir einen starken Affront gegen ein herkömmliches männlıche: 
Selbstverständnis. Das patriarchalische Machtgefühl ist u.a. deswegen so mitleidlos, weıl diese 
Art von Mann in der Regel selber taub für seine eigenen Gefühle und Motive geworden ist 
Leute. die über das meiste Maß an Macht verfügen, wissen oft am wenigsten über sıch selbst. 
Dabei ist genau das die Vorraussetzung, um sich auf sinnvolle und befriedigende Weise ın der 
Außenwelt zu bewegen 





Wer den Zusammenhang der alten Mythen von einem Gott, der ganz eins mit seiner Welt ıst. m 


, 

ı 
Inr (ınctalt Anc Narzıf r rt ahe atsadart! att2 war Horhert Marrnse In seinem 
der Gestalt des Narziß inhaltlich rıchtizzehend aufgedeckt hatte, war Herbert Marcuse. in seinen 


nhi chtiggehend aufgedeckt hatte, waı 
‚Iriebstruktur und Gesellschaft“'” heißt es: „Der primäre Narzıßmus ist mehr als mu 
Autoerotik; er zieht die Umgebung in sich hinein, indem er das närzistische Ich mut c*! 
objektiven Welh integriert 13 
Ferner chakterisiert Marcuse diesen Zustand mit den Worten: „...die Stimme, die nicht betiehl! 
sondern singt“...“die Befreiung von der Zeit...“, „die Erlösung der Lust, de: Stillstand dei 


Fa) 


Zeit,...Stille, Schlaf, Nacht...“, „das Schweigen und die Ruhe“ 


“ Suhrkamp-Verlag, Frankfurt 3.M . 17. Aufl. 1985 
ebd. S. 166 





17 
Marcuse erhebt Narziß ebenso wie Orpheus zu Archetypen'*, Urbildern einer anderen Art von 
Kultur, die dem Bild des Prometheus als Sinngestait des Leistungsmenschen antithetisch 
gegenübergestellt wırd. 
Marcuse resümiert: „Seine Sprache ist Gesang, sein Werk ist Spiel. Das Leben des Narziß ist 
das der Schönheit und sein Dasein ist Kontemplation.“ 
Hier sehe ich eine positive Identifikationsmöglichkeit. Statt ständig neue Welten zu erobern, was 
mit der permanenten Zerstörung „überholter Formen“ einhergeht, proklamiere ich ein Ideal des 
Einklangs von Menschen mit ihrer Welt. 


MEPHISTOPHEBELEBES - LOKI 


Wie meine bisherigen mythologischen Darlegungen ergeben haben, entsteht das Bedürfnis nach 
mythischen Gestalten nicht aus den Mythen heraus, sondern aus Tatsachen und Problemen 
unseres heutigen Lebens. Es sind nicht die Götter, die uns aus Urtagen der Menschheit oder einer 
anderen Welt etwas zurufen - wir aber rufen nach ihnen, eben nach jenen, die uns Hilfe zu 
versprechen scheinen. 

Das ıst für mich der Hauptgrund, warum ich eine neuheidnische Kontroverse nicht verstehe, die 
ich öfter einmal vorgefunden habe: Die zum Teil heftige emotionale Ablehnung gegenüber jener 
Gestalt, die in der christlichen Theologie als Widersacher oder Teufel figuriert. 

Sowohl germanorhile Heiden als auch der freisinnige Frederic Lamond sind sich darin einig, daß 
Satan in unserer Religiosität keinen Platz habe, weil er nur ein Produkt des Christentums sei und 
deshalb keine primäre spirituelle Wertschöpfung erlaube. 

Sicher spielen dabei auch die von klerikalen Einpeitschern gesäten Vorurteile eine Rolle, 
Satanisten begingen Ritualmorde, mißbrauchten Kinder und animierten Menschen lediglich zum 
Haß. 

Abgesehen davon, daß es sich hier um billige Projektionen aus der eigenen „Heilsgeschichte“ 
handeli, wird gerne eines übersehen: Solange die Gestalt eines unumschränkt herrschenden 
Gottes unsere Gedanken bherrscht, wird stets ein Teil unser Emotionen in die Notwehr einer 
persönlichen Rebellion fließen, die sich gegen die Übermacht monotheistischer Gottesbilder 
verwahrt. 

Nun ist zwar die christliche ideenwelt mit ihrem himmlischen Tyrannen heute kein Faktor mehr, 
der Gegenstand bewußter gesellschaftlicher Rezeption wäre. 

Doch das ändert nichts daran, daß die individualisierte männliche Tyrannis als Herrschaftsform 
im gesellschaftlichen Machtgefüge nach wie vor unangetastet steht. 

Schauen wir nach Rußland und Amerika ! Denken wir an einen politischen Skandal der jüngsten 
Zeit in unserem Land, der bewies, daß die billigsten Mafiaideale zwei Jahrzehnte lang 
unumschränkt von allen geschluckt wurden, die Unterwerfung unter den Vater, dem man nur 
Gutes unterstellte, bis man einen Blick in die Abgründe der Kioake riskieren durfte. 

Und die politische Gegenseite ? Überall bewegt sich die Diskussion ın die Richtung, daß man 
mit dem Prinzip der Meinungsvielfalt und des offenen Diskurses nur Schwäche zeige, und daß 
die „Führer“ bedingungslosen Respekt verdienten. Die Entwicklung in den Medien mit ihrer 


14 Kurioserweise benutzt Marcuse als absoluter geistiger und politischer Kontrahent der jungianischen Geisteswelt einen 
pur jungianischen Begriff, den er mit Sicherheit völlg anders definiert hätte, wenn man ihn hätte fragen könne. 




















.. 8 
' 


;schauspielerischen Präsentation von 
Jamit fortwährend Demokratie als ko 

so lange das alles so bleibt, hat der Rebell, der die Mächtigen karıkıert, in Frage stellt, ıhre 
Schwächen aufdeckt. die Absolutkeit ihrer Macht anzweifelt und ihren Sturz vorbereitet, de 


{ nennt ; 1nar I a nr hi } ı0y ımntaer miprt 

Individuen unterstützt dıesen Kurs nachhaltıg, unierminiert 
j Ba 3 2 

liektiven Diskurs. 


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5 
’ 


orößten Anspruch auf unsere Sympathie. 

Satan. der JHVH' mit der Aussage provozierte, seine Anhänger würden sich von ıhm abwenden. 
wenn die auferlegten Belastungen überhandnahmen; Loki. der den Göttern gmadenlos ıhre 
sexuellen Spezialitäten offenlegt in dem Augenblick, wo sie sich als moralische Elite 


präsentieren, der Teufel des Hexensabbats, der die Christen dazu ermuntert, die 
EN . u Wu SP a E : Den 
Zwänge abzuschütteln, indem sie die geheiligten Riten des Monstrums Kirche 


ihnen 
auferlegten te > 
verhöhnten...Der Teufel hat zahllose Gesichter. Er ıst das große Nein - gegenüber Ausbeutung 
Int H RE \ ar “ u" sahrsarzirt 71 I Ar 2 @ 27 
und Zwang, gegenüber Unterwerfung und Demut, gegenubei Triebverzicht und Arbeıtshetze 
oo > E i in - . ne % r 4 6 i Y? BERN: > Br u „ı ar 
Auch in der Ikonographie des Satanischen haben wir übrigens neben der Rezeption solche: 
antiker Gottheiten wie Pan oder Hermes eine wilde, spontane Wiederkehr des Tierischen zu 
vermerken. das die Menschen durch die christliche Ethik bedingt, zu verdrangen gezwungen 
waren. In vielen Teufelsbildern ist es eine fast regellose Anhäufung tierischer Attrıbute. 
Fr Iran. Bu TU De . 
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Kh f N = ER 
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a . 2 s j s : MINE NE Een In Tor 1: ecan IPs 
Und heute ? Hat sich etwas durch die Säkularısation, das institutionelle Verblassen de 


7 


Christentums geändert 
“ 4 » . . 4 . . AR En RR er . I 3 & 
Das kapitalistische System, in dem wir leben, ıst das große Erbe der 
Leistungsethik, ein System, in dem Profitmaximierung auf Kosten des letzten Funkens tierna 


u re hr} 
protestantiseht 


tie! 





19 
Lebendigkeit ım Menschen und der gesamten äußeren Natur so weit getrieben wird, daß die 
Vernichtung des Lebens auf unserer Erde zu einer berechenbaren Größe wird. 
Gegen die Lebensverneimung, die sıch das Tier Mensch in den Shopping-Arkaden und 
Callcentern, ın First-Class-Hotels und U-Bahnschächten, in Gen-Labors und Internet-Cafes 
auferlegt, waren selbst die Klöster des fünfzehnten Jahrhunderts Orte fröhlicher heidnischer 
Unbekümmertheit ! 
Wenn es wirklich keinen Geist der Verneinung in euch geben sollte, der sich gegen all das 
erhebt, würde das für mich persönlich ernste Fragen über Sinn und Unsinn eines neuen 
Heidentums aufwerfen. 
Zugegeben, Satan ıst nicht gerade sehr friedliebend. Aber er bringt den Funken der Erkenntnis 
und der Gewahrwerdung in jeder Diskussion, jedem leidenschaftlichen Essay, jedem 
Augenblick, in welchem wır unser Gegenüber mit der Wahrheit über den Gegenstand der 
Erörterung konfrontieren. 
Um jetzt etwas vom Gelaber zum Konkreten zu kommen: Gerade Letzteres, die Wahrheit zu 
sagen, ist vielleicht die schwierigste, brutalste und unzeitgemäßeste Übung, der wir uns 
unterziehen können - in einem Zeitalter, in dem das erzwungene Lächeln zur Geschäftsordnung 
des Dienstleistungsmenschen gehört. 
Die Wahrheit - sie ist wie eine Schlange, dıe ständig unter der Erde mit jedem unserer Schritte 
von uns herumkriecht, von der wir befürchten müssen, daß sie jeden Augenblick mit ihrem 
gepanzerten Haupt die Erde durchstößt, um sich unverhüllt zu zeigen. 
Wie jedes starke Gift entscheidet hier die Frage der Dosierung über Heilung oder vernichtenden 
Ruin. Auch hier, wie bei der Erfüllung unserer Begierden ermahnt uns Epikur, das rechte Maß zu 
beachten !"° 
Also, auch nach reiflicher Überlegung bleibe ich dabei: Solange wir ohnehin keine Sozialstruktur 
haben, die wir uneingeschränkt respektieren können, bleibt die satanistische Empörung eine 
wichtige ethische Grundlage, um in dieser Welt bestehen zu können. 


Damit habe ich Euch jetzt drei Gottheiten vorgestellt, deren Geburt ın der Seele eines Mannes 
meines Erachtens zu sinnvoller Identität führen kann: Ganesha als Repräsentant der Urenergie, 
die nicht durch Anspannung sondern durch Ausstrahlung entsteht. Ymir als Gott des Weltganzen, 
der uns lehrt, im Einklang mit uns und unserer Welt zu sein. Und Mephisto, der seine 
schneidende Stimme gegen Verdummung und Repression erhebt. 


Stellen wir uns vor, diese drei kämen wirklich ins Gespräch ! 





15 Dieses Buch betrachte ich als regeirechte Pflichtiektüre für Heiden: Epikur: Von der Überwindung der Furcht, dtv, 
München 1991 








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Heiden surfen durch's Internet 


Heute stellen wir Euch eine Handvoll Seiten zu den zwei Themen Schamanismus und Heidnische 
Suchmaschinen vor. Auch dieses Mal gilt wieder: Vor jede hier angegebene Adresse ein http:// 
eingeben. Und weil nichts so schnellebig ist wie das Internet, gibt es auch keine Garantie, daß 
die Seite bei Euerem Besuch noch in der hier angegebenen Form oder überhaupt existiert. 


Zum Thema Schamanismus haben wir fünf Seiten besucht. Da gibt es die Seite 
www.barlok.ch/DW/, der "Internet-Zeitschrift für Schamanismus 'Drei Welten". Interessant sind 
vor allem die Links und die Bilder, die man ausdrücklich für eigene Homepages verwenden kann. 
Es gibt einen Veranstaltungskalender für Trommelkreise, das Ganze ist nett gemacht, aber nicht 
sehr tiefgehend. 





Die Seite www.schamanismus.de wird von jeder Suchmaschine natürlich mit als erstes 
ausgespuckt, kann aber ohne spezielle Zugangsberechtigung nicht betreten werden. 


Dann gibt es da die Seite von "Aufsteigender Adler”, www .kondor.de/index.html, eine 
ausführliche und interessante Seite, die den Schamanismus u.a. von der magischen/henochischen 
Seite aus betrachtet. Leute mit entsprechender Vorbildung können sich hier durchaus relevante 
Anregungen holen. 





Nicht so gut fand ich die Seite shamanic-web-ring.de, eine Web-Site, die entweder vom FSS 
(Foundation of Shamanic Studies) eingerichtet wurde oder dieser Organisation sehr nahe steht. 
Ich empfand die ganze Seite äußerst esoterisch im schlechteren Sinne, also unverbindlich, 
konsumorientiert und abgehoben. Es werden Wochenend-Seminare angeboten und ein Shop zum 
Einkaufen ist auch gleich dabei. Zu den angebotenen Stichworten wird immer dasselbe Buch 
zitiert. Ein Beispiel: Zum Ziel des Schamanen heißt es: "Der Schamane strebt den schamanıschen 
Bewußtseinszustand an." Ich hab hier kein Wort darüber gefunden, daß ein Schamane in erster 
Linie seiner sozialen Gruppe verpflichtet ist, in der er als Priester, Heiler und Lehrer fungiert. 
Wenn er dieser Aufgabe nicht nachkommt, kann das sehr unangenehm werden: Es heißt, bei 
nordamerikanischen Indianern (z.B. Creek, Natchez, Comanche, Achomawi) wurde der 
Schamane getötet, wenn er mehrmals hintereinander als Heiler versagte'°. Dieser Aspekt fehlt 
hier völlig. Insgesamt eine Seite, die in erster Linie für das FSS und seine Referenten wırbt, sıe 
wird dem ernsten und tiefen Anliegen des Schamanismus nicht gerecht. Hat mir nicht gefallen. 


Als Kontrastprogramm gibt es zum Abschluß die Seite der italienischen Organisation "Where the 
Eagles Fly", siberianshamanism.com/. Sie ist auf englisch und italienisch (kann man sich 
raussuchen). Hier sind mehrere echte, handfeste, sibirische Schamanen aus Tuva und Burjatien 
organisiert. Die Infos über den Schamanismus in Sibirien haben Hand und Fuß, zwar werden 
auch Seminare angeboten, aber bei Ai-Tchourek und ihren Kolleginnen fühle ich mich schon 
etwas besser aufgehoben. Schöne Fotos von Ritualen gibt es auch. Meine Lieblingsseite von den 
fünfen hier. 





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16 Aus Kiaus E. Müller "Schamanismus. Heiler, Geister, Rituale", München 1997. 








22 


Zum nächsten Thema: Es folgen vier Suchmaschinen bzw. Link-Listen spezieli für Pagans, die 
aber allesamt englischsprachig sind. Höchst relevant ist www.AvatarSearch.com/index.htmi, wo 
man viele Links zu jedem gewünschten heidnischen oder magischen Thema angeboten bekommt, 


und zwar mit Kurzvorstellung. 





Sehr umfangreich, mit schöner Melodie, aber leider sehr langen Ladezeiten ist die Seite 
 www.witchway.net des "Inner Sanctum of Wicca & Witchcraft". Es gibt hier eine Suchfunktion, 
| und ich nehme an, daß man dadurch auch verschiedene Links angeboten bekommt. Wissen tu 
| ich's nicht, weil mir dabei jedesmal mein Rechner abgestürzt ist. Die Eingangsseite des Ganzen 

ist etwas sehr umfangreich und für Rechner unterhalb der PII-Grenze anscheinend nicht geeignet. 


Ebenfalls eine Suchfunktion, dazu Chats, Messages, News und einen Shop gibt es bei "The 
| Witches' Web", www.witchesweb.com. 





Eine endlose Liste mit Links zu jedem nur erdenklichen heidnischen, mythischen, mystischen 
oder magischen Thema (z.B. Asatru, Astrology, Babylonian, Celtic, Crowley, Golden Dawn, 
OTO, Qabalah, Rosicrucian, Shamanism, Sufism, Santeria u.v.a.m.) gibt es beı 
www.newageinfo.com/res/wicca.htm. Hier kann man Stunden verbringen, also Tür abschließen 


und/oder Klingel abstellen! 
Viel Spaß beim Surfen wünscht Euch Euere Alraune © 
















Lingua mystica 


EEE 


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Ein Forum fuer Poesie und Prosa 
aus den Bereiehen Gothie 
Paganismus 


BO 


Die 3eitschrift 
für 
alternative Dhilosophie | 
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23 
Der Heiderstammtisch in Berlin ! 
Wir treffen uns wie schon bisher jeden zweiten Dienstag im Monat im: 
L Escargot, einem gemütlichen Restaurant/Kneipe im Wedding. Das nächste 
Treffen findet am 11. 4. 2000 statt: Das L’Tsargot bietet neben einem 
fränkischen landbier köstliche vegetarische Gerichte zw annehmbaren 
Preisen und hat tgl, von 18.00 - 2.00 Uhr geöffnet: Es liegt in der Brüsseler 
$tr.39, nicht we vom U-Bhf: Seestr. (U-6) (Tel: # 53 15 63). 
Unser Treffen beginnt immer gegen 19.00 Uhr. Woran könnt Ihr den 
Stammtisch erkennen 7 In der Müte seht ein kleiner GANESHA 
nn Got aus Indien). 
ei unserem allmonatlicchen Tr , 
Da nenn Mmnthen Trfn, La dan Kematen taken 
Gedanken und Erfahrungen auszutauschen, vielleicht sogar neue 
Freundschaften zw begründen. Es WE abo kein Club oder dgl, jederr ist 
willkommen; Hexen, Magier/Innen, Druid/Innen oder Amagzonen. Allergisch 
sind wir lediglich gegen hemmungslose Eso-Spinner oder braune Socken. 
wenn Ihr weitere Fragen habt, einfach Parzival anrufen 
(030 /#5 #9 3% 25 oder 0173 930 059 5) 
oder eine e-mail schicken an montzalvage@T-online.de: 









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Musik für Heiden 


:OF THE WAND AND THE MOON: "'Nighttime Nightrhymes'' 


'euphonious records / Voices of Wonder, www.vow.dk / Vertrieb durch Indigo] 


Kim Larsen ist eigentlich als Gitarrist in die dänische Metal-Band Saturnus involviert. 
Daneben beschäftigt er sich jedoch mit seiner ganz eigenen Welt der folklore- 
nspirierten Musik, und vollendete vor kurzem sein Debütalbum "Nighttime 
Nightrhymes": Anrührende, verzaubernde Melodien, von einer schlichten Akustikgitarre 
getragen, klar wie das dunkle Wasser eines Sees bei Nacht und doch warm wie das 
Licht eines kleinen Feuers, welches man am Ufer entzündet, bisweilen erhaben wie der 
stille Mond oder das erschreckend-magische Nordlicht, manchmal bitter wie der Geruch 
von Asche, Nebelschwaden, die verfallene Mauern umhüllen. 

Eine geradezu apokalyptische Atmosphäre scheint das ganze Album schwach zu durchziehen 
und hebt es weit über simple folkmusik hinaus. Dazu, oder besser gesagt, darin eingewoben, 
Kim's intensive Stimme, die teilweise nur geflüsterten Texte, Worte von Liebe, Beschwörungen 
uralter Mächte. Hin und wieder wird das Klangbild ergänzt, vervoliständigt durch eine Violine, 
subtile Keyboardparts, Klavier oder eine Flöte. Fragil und doch stark wirken die Lieder - Musik, 
die sich selbst genügt, ohne dabei gezwungen introvertiert zu wirken, sondern offen wie der 
große weite Himmel bei Nacht. 

Das in monochromem Blaugrau gehaltene wunderschöne Booklet präsentiert die Texte. Einige 
davon wurden von Kim selbst auf Englisch verfasst, behandeln die Themen Liebe, Sehnsucht und 
Verlangen, einer ist ein Gedicht des englischen Dichters sir Philip Sidney aus dem späten 16. 
Jahrhundert, "She with whom compar'd the Alpes are vallies", welches Kim seiner Freundin Julie 
widmet, ein anderer wurde von Aleister Crowley inspiriert, zwei weitere sind Adaptionen alter 
isländischer Sagen. 

Misstrauisch machte mich auf den ersten Blick ein auf dem Cover und im Booklet mehrmals 
auftauchendes Symbol, welches irgendwie einer Mischung aus Volksbank-Logo und Hakenkreuz 
ähnelt. Doch nach einer ausführlichen Unterhaltung, die ich mit Kim per e-mail führte, möchte 
ich betonen, dass es sich hier auf keinen Fall um einen politischen Spinner handelt, sondern um 
einen sympathischen, ruhigen und nachdenklichen Menschen, der sich eingehend mit 
altnordischer Mythologie und Naturreligion beschäftigt, und der mir auch die Bedeutung der 
Symbole auf der CD erläuterte: es handelt sich um einen Runencode, welcher die Wörter 
GANDR und MAUNA symbolisiert, die auch die Titel des ersten und letzten Stücks auf der CD 
bezeichnen: Zauberstab und Mond, the wand and the moon, archaische Symbole für den 
männlichen und weiblichen Aspekt, magisches Handeln und die Inspiration durch die Nacht. 





25 


KIRILE LOO "Saatus - Fate" / "Luliabies for Husbands” 
[erdenklang Musikproduktion, www.erdenklang.de, In der Habbecke 18, 59889 Eslohe] 


Kirile Loo wurde in einem kleinen estnischen Dorf geboren und verbrachte ihre Kindheit bei 
ihrer Großmutter, fernab von modernen Städten mit Elektriziät, Fernsehen und Telefon. Von 
1983 bis 88 studierte sie in Tallin Musik, doch ihr größter Einfluss war ihre Großmutter, die ıhr 
schon als Kind die Tradition der uralten Runenlieder nahebrachte. Diese "Regilaul” genannten 
Runenverse, wie man sie auch in der "Kalevala" findet, der bekanntesten finnischen Dichtung, 
die eine ähnliche Bedeutung hat wie die germanische Edda, waren in den balto-finnischen 
Kulturen weitverbreitet. Die Lieder begleiteten die Menschen im Alltags- und Arbeitsleben, 
wurden bei Festen und familiären Zusammenkünften gesungen. Sie hatten keine feste Form, 
sondern konnten dem Anlass entsprechend durch das Hinzufügen, Weglassen oder Tauschen von 
Versen vielfältig verändert werden. Entfernt verwandt ist diese Art des Gesangs und der 
Dichtung mit jener der mit den Esten sprachverwandten nomadischen Stämme der Samen. Im 
Verlauf von Jahrhunderten entwickelten sich aus primitiven Liedformen, die aus nur wenigen 
unterschiedlichen Tönen bestanden, vielschichtigere, komplex strukturierte Stücke, die bisweilen 
blues-ähnliche Melodien beinhalten. 

Im spirituellen Bereich dienten die Verse als Beschwörungsformeln. Magie und Zauber waren 
selbstverständliche Bestandteile der frühen baltischen Kulturen. Jeder Mensch glaubte an die ihm 
innewohnenden magischen Kräfte. Besonders begabte Menschen waren Hexen, Heiler oder 
Schamanene, und insbesondere die weisen alten Mitglieder der Dorfgemeinschaft standen ın 
hohem Ansehen. 

Die Christianisierung im späten Mittelalter riss natürlich auch hier tiefe Wunden in die 
ursprüngliche naturverbundene Kultur. Ironischerweise finden sich ausgerechnet in Protokollen 
von Hexenprozessen die ersten schriftlichen Aufzeichnungen der alten Verse. Bis ins 19. 
Jahrhundrt hinein hielt sich jedoch in den abgelegenen ländlichen Gebieten die Tradition der 
Runenlieder, bevor sie von neueren Liedformen, die sich durch die Schulen und Kirchen 
verbreiteten, langsam verdrängt wurden. 

Kirile Loo die mit den alten Traditionen aufgewachsen ist, hat die faszinierenden Runenlieder 
aufgegriffen, und präsentiert sie auf dem 1994 veröffentlichtenersten Album "Saatus" ın 
ungekünstelter ursprünglicher Form, mit einer hellen, manchmal weichen, dann wieder prägnant- 
spröden Stimme und in dem ganz eigenen Stil dieser Kultur. 

Schwebende schwingende Töne, langgezogene lautmalerische Silben, gesprochene Parts, sanfte 
Melodien, die sich zu intensiven Beschwörungen steigern, begleitet von traditionellen 
Instrumenten, z.B. der Kannel, einem mindestens 2000 Jahre alten estnischen Saiteninstrument, 
Flötenmelodien, die nach Wind und Wasser klingen, eın traditioneller Gong, der früher zur 
Übermittlung von Botschaften und Signalen Verwendung fand. Immer steht jedoch Kirtle Loos 
intensive Stimme im Vordergrund, intoniert klagende traurige Gesänge, verspielt wirkende, 
träumerische, oder fröhlichere tanzähnliche Lieder. Die Texte, welche im Original und in 











26 

englischer Übersetzung abgedruckt sind, vermitteln ein umfassendes Bild von der 
Vorstellungswelt, die in diesen Liedern lebendig ist, aus einer Zeit, da das Spirituelle ın den 
Alltag eingebunden war und die Menschen in einem unkomplizierten Verhältnis zur Sexualıtät 
und in einer direkten Beziehung zur Natur lebten, ohne die Kontruktionen philosophischer 
Spekulation späterer Zeit. Naturstimmungen, Geschichten von Liebe und Sehnsucht, 
Schlaflieder, Heilzauber, und auch humorvolle Spottlieder, in denen besonders die 
selbstbewusst-weibliche unbekümmerte Einstellung auffällt: In "Joodiku nädal" beispielsweise 
bringt die Interpretin ihre Verachtung für einen Mann zum Ausdruck, der sein ganzes Geld und 
den Besitz seiner Famile vertrinkt - er sei weder für den Haushalt noch für das Bett seiner Frau 
von großem Nutzen. 

Auf dem "Lullabies" Album erklingen im Unterschied zu "Saatus” neben den traditioneilen 
Instrumenten auch Samples, Synthesizer und elektrische Violine, die (großteils programmıerte) 
Percussion tritt mehr in den Vordergrund, und grundsätzlich scheint man versucht zu haben, den 
Schwerpunkt etwas zugunsten der Eingängigkeit und Zugänglichkeit für mitteleuropäische Ohren 
verschoben zu haben. Das Booklet ist wieder sehr schön gestaltet, diesmal mit englischen und 
deutschen Übersetzungen der Texte. insgesamt wirkt das grafische Konzept und Drumherum 
durchgestylter und professioneller - von ihrem Zauber hat die Musik nichts verloren, es ist 
meiner Meinung nach nur schade, dass man sich auf derartige Weise einem mit Massen von 
drittklassigen Folk-, Weltmusik- und Esoterik-Veröffentlichungen überschütteten Markt 
anbıedern muss 





27 


Deidencum z die andere 
Keligion 


von Fritz Steinbock 


Obwohl über das Heidentum noch immer viel Unsinn verbreitet wird, dürfte zumindest in der 
sogenannten spirituellen Szene — bei Menschen, die geistig-religiösen Alternativen offen und 
informiert gegenüberstehen — halbwegs klar sein, daß es dabei nicht um eine neue Religion 
oder Sekte geht, sondern um die natürlichste, selbstverständliche Sache, die es in der Welt der 
Religionen gibt, etwas, das in jedem Land der Erde mit seinen Menschen hervorgewachsen ist 
und sie seit jeher begleitet hat: seine eingeborene Naturreligion. Wie die native Americans oder 
eingeborene Afrikaner, die sich heute in wachsender Zahl wieder stolz zu ihren traditionellen 
Religionen bekennen, finden auch immer mehr native Europeans in den spirituellen Traditionen 
ihrer "vorchristlichen" Ahnen einen Zugang zum Heiligen, der langsam auch von Nichtheiden 
akzeptiert und als gleichwertig anerkannt wird. 


Darin liegt aber auch ein Problem. Wer das Heidentum arıderen, nichtheidnischen Religionen 
gleichstellt, bestätigt ihm nicht immer nur eine gleiche Würde und Ernsthaftigkeit, wie es der 
Respekt vor den religiösen Überzeugungen aller Menschen gebietet, sondern verfällt oft auch 
dem Irrtum, es wäre inhaltlich ebenfalls mehr oder weniger gleich oder doch im großen und 
ganzen auf die gleichen Ziele und Vorstellungen ausgerichtet — eine Religion wie alle anderen, 
von denen ein beliebter Gemeinplatz behauptet, daß sie doch letzten Endes "alle das gleiche 
meinen." Das ist bequem für alle, die ein einseitiges Verständnis von Religion vor der Irritation 
durch Andersartiges zu retten suchen, und eine Krücke für manche, die halb auf dem Weg zum 
Heidentum sind, aber den Sprung in eine völlig neue, unbekannte geistige Welt noch nicht 
ganz wagen. Für manche Seminarleiter und Buchautoren am boomenden Esoterikmarkt ist es 
auch nur eine gute Ausrede, um alten Wein in neuen Schläuchen verkaufen zu können. Für 
echte Heiden ist es ganz einfach unrichtig. 


Denn wie immer man Heidentum verstehen mag, eines ist es — sofern es wirklich Heidentum 
und kein Verschnitt ist — auf jeden Fall: Naturreligion. Damit aber unterscheidet es sich von 
allen Lehren, deren "Reich nicht von dieser Welt ist", so grundlegend, daß es nicht bloß als 
eine andere Form, sondern als völlig andere Art von Religion betrachtet werden muß. Es hat 
nicht nur andere Mythen und Riten als das Christentum und ähnliche Glaubenssysteme, deren 
Vergleich zu der Ansicht führte, daß "alle das gleiche" meinten. Als Naturreligion meint es auch 
etwas ganz anderes als naturferne, weltabgewandte Lehren, die den Sinn der Welt und des 
Lebens außerhalb ihrer selbst und das Göttliche in einem fernen Reich jenseits der Wirklichkeit 
der Natur suchen. Naturreligion heißt: Das Heilige ist in der Welt und eins mit ihr, die Natur ist 
göttlich und das Göttliche natürlich. Etwas "Übernatürliches" gibt es im Heidentum nicht — und 
damit ist der gängige Begriff von Religion als "Hinwendung zum Übernatürlichen" hinfällig. 
Religion überhaupt muß neu definiert werden. 














28 
/enn sich aber schon an den Grundprämissen ihrer Weltsichten die Geister scheiden, liegt der 
nterschied zwischen heidnischen und nichtheidnischen Religionen nicht erst auf der Ebene 
er einzelnen Inhalte, sondern bereits in den Grundvoraussetzungen ihres Denkens und 
-kennens, in ihren Paradigmen. Der Wissenschaftshistoriker Thomas Kuhn, der diesen Begriff 
ingeführt hat, erklärt ein Paradigma (griechisch: 
/orbild") als eine Konstellation von Überzeugungen, Wertvorstellungen und Techniken, die 
orı den Wissenschaftlern eines bestimmten Fachs zu einer bestimmten Zeit geteilt und 
kzeptiert werden. Es ist die gemeinsame Weltanschauung dieser Wissenschaftler und das 
orgegebene Denkmuster, nach dem sie die Phänomene ordnen, beschreiben und erklären, ja 
ft die Bedingung, unter der Erfahrung überhaupt möglich ist: der Rahmen dessen, was sich 
berhaupt denken läßt. Neue Erkenntnisse, die sich ins herrschende Paradigma nicht einordnen 
Issen, setzen sich daher erst durch, wenn sich auch das Paradigma verändert hat — denken wir 
n Kepler, Galilei oder Darwin. Kuhn geht denn auch davon aus, daß verschiedene 
'aradigmen grundsätzlich "inkommensurabel" sind: Wissenschaftler, die mit ihnen arbeiten, 
‚etrachten die Welt unter völlig verschiedenen Gesichtspunkten, verstehen sie verschieden und 
prechen verschiedene Sprachen. 


)er Paradigmenbegriff hat sich auch in der Sozialforschung als fruchtbar erwiesen. Er erklärt 
iicht alle, aber eine ganze Menge der Verständigungsprobleme, die zwischen Menschen mit 
‚erschiedenen Weitbildern, Kulturen oder eben auch Religionen auftreten und oft beim besten 
Nillen nicht lösbar sind. Die betroffenen Menschen können einander gar nicht verstehen, denn 
jurch die gegensätzlichen Paradigmen, die sie durch ihre Erziehung und Bildung aufgenommen 
yaben, denken sie völlig verschieden, arbeiten gewissermaßen mit in <ompatibler Software. Was 
ür die einen logisch, vernünftig, normal und glaubwürdig ist, erscheint anderen irreal und 
‚errückt, Normen und Werte der einen Seite haben für die andere keine Gültigkeit, Weisheit 
ier 

sinen ist für die anderen albern, das Heiligste einer Religion ist für eine andere Blasphemie, 
Aberglaube oder ganz ohne Bedeutung. Es ist unverständlich, daß jemand "so etwas glauben" 
cann, daß das überhaupt etwas mit Religion zu tun haben könnte. 


Im Grunde ist das ein alter Hut. "Wir wissen, daß der weiße Mann unsere Wege nicht versteht", 
srkannte Chief Seattle in der berühmten Rede über das Naturverständnis seines Volkes. Auch 
Paulus aus Tarsus, der das Christentum nicht nur verkündete, sondern auch sein zentrales 
Dogma über die Erlösung durch den Kreuzestod Christi schuf und damit als sein eigentlicher 
Gründer gelten kann, war sich völlig klar darüber, daß er in der heidnischen Welt vor einer 
geistigen Barriere stand. Seinen Anhängern in Korinth schrieb er (1 Kor 1, 23), seine Lehre sei 
den Juden ein Ärgernis und den Heiden eine Torheit'. Er bezog sich dabei, obwohl er sich 
ihrer bewußt war, nicht auf die intellektuelle Schwäche seiner Verkündigung, sondern auf die, 
wie er es nannte, 

"ungeistige" oder "fleischliche" Lebenseinstellung der Heiden - ihre "Weltverfallenheit" in einem 
religiösen Paradigma, das Welt und Gottheit nicht trennte und daher für weltabgewandte 
Erlösungsiehren keinen Platz hatte. "Der ungeistige Mensch nimmt nicht an, was vom Geist 
Gottes kommt", schrieb Paulus im selben Brief (1.Kor 2, 1-3): "Torheit ist es für ihn, und er 
kann es nicht verstehen." Die Juden konnten das zwar, aber als konsequente Monotheisten 
lehnten sie die Vergöttlichung des Menschen jesus ab. Den Heiden dagegen war die ganze Art 
dieses Denkens fremd. Sie konnten nichts damit anfangen und empfanden es nur als wirr und 
unsinnig. 


Gegen diese paradigmatische Barriere half es auch nichts, daß sich Generationen christlicher 
Apologeten (wörtlich: "Verteidiger" vor Gericht, im Alltag eher "Entschuldiger") die Finger 


29 
krumm schrieben, um das intellektuelle Manko auszugleichen und mit Anleihen bei der 
Weisheit der Welt", die sie eigentlich ablehnten, die fehlenden Argumente nachzuliefern. Die 
griechische Philosophie lieferte dazu das Handwerkszeug, doch das Christentum näherie sich 
keineswegs dem europäisch-heidnischen Denken an. Es plünderte seinen Wortschatz, sein 
Welt- und Menschenbild aber blieb ihm fremd. Die Gebildeten der urbanen Oberschicht, an 
die sich diese nachträgliche Intellektualisierung eines blinden Glaubens wandte, blieben denn 
auch unbeeindruckt. Einige wenige schrieben Gegendarstellungen, die meisten aber ignorierten 
das Christentum völlig. Erst als Kaiser Theodosius die traditionelle Bildungsschicht entmachtet 
und teilweise ausgerottet hatte, konnte sich das christliche Denken etablieren — und nahm 
prompt eine Umwertung aller bisherigen 
Vorstellungen von Geist, Vernunft und Logik vor. Augustinus (354 - 430) schob jede rationale 
Kritik beiseite und erklärte offen: "Credo quia absurdum est. Ich glaube, weil es widersinnig 
ist." 


Diesem Augustinus verdanken wir letztlich auch die irreführende Vorstellung, Religion wäre im 
Grunde für alle Menschen das gleiche — nämlich Religion nach christlichem Vorbild. "Die 
Wirklichkeit, die jetzt Christentum genannt wird", schrieb er, "gab es schon bei den Alten. Sie 
fehlte nicht seit Anbeginn der Menschheit, bis Christus im Fleisch erschien. Von da ab begann 
die wahre Religion, die schon da war, die christliche zu heißen." 1400 Jahre später präzisierte 
Friedrich von Hardenberg, alias Novalis, mit deutscher Gründlichkeit: "Es gibt keine Religion, 
die nicht Christentum wäre." Als Vertreter der "wahren Religion", die "seit Anbeginn der 
Menschheit" da war, fühlen sich auch die Moslems, die ledigich dem Juden- und Christentum 
gewisse Teilwahrheiten zugestehen, weil sie inhaltlich verwandt sind. Scheinbar weitoffene und 
tolerante Theorien von "universaler Religion" erweisen sich bei näherer Betrachtung als genau 
das gleiche: Um darin überhaupt Berücksichtigung zu finden, muß eine Religion ausreichende 
inhaltliche Verwandtschaften zu den "ewigen Wahrheiten" aufweisen, die sie nach christlich- 
abendländischer Denktradition braucht, um als wahr und weise, als "Hochreligion" oder 
überhaupt als Religion anerkannt zu werden. 


Was Heidentum nicht ist, laßt sich demnach auch daran erkennen, welche religiösen Lehren zu 
dem —- nach christlichen oder von christlicher Tradition bestimmten Kriterien — auserwählten 
Kreis der "Hochreligionen" gezählt werden. Ganz verläßlich ist das nicht, denn es war nicht gut 
möglich, Religionen hoch entwickelter Kulturen mit Hunderten Millionen lebender Mitglieder 
ganz aus diesem Kreis auszuschließen. Aber die Frage, was christlich-abendländische Deuter 
an einer polytheistischen Religion wie dem Hinduismus oder einer theoretisch atheistischen, in 
der Praxis mit heidnischen Gottheiten verbundenen Philosophie wie dem Buddhismus als wahr 
und weise beurteilen, läßt sich eindeutig beantworten: Es sind ausschließlich die dualistischen, 
weltabgewandten, jenseits- oder erlösungsorientierten Denkmuster, die moralisierenden 
Weltdeutungen, die Skandalisierung von Leiden und Tod, der Frust an der Vergänglichkeit und 
die Sehnsucht nach einem Ewigen, Unwandelbaren und Absoluten jenseits der unbeständigen 
Realität steten Wandelns und Werdens. 


So pickt sich die konventionelle Interpretation aus der gewaltigen geistigen Vielfalt Indiens, die 
auf dreitausend Jahre freier Entwicklung zurückbiickt, nur jenen Teil heraus, der ins gewohnte 
Bild christlich-abendländischen Religionsverständnisses paßt, genauso wie einst die christlichen 
Apologeten aus der griechischen Philosophie nur diejenigen Denker zitierten, die ihnen 
gelegen kamen, genauso wie jene Althistoriker, die in der -- durchaus heterogenen — religiösen 
Szene der griechisch-römischen Antike die traditionellen, kulturprägenden Naturreligionen als 
bloße Folklore abtun und höhere Religiosität nur in subkulturelien Mysterienkulten vermuten, 
und ebenso wie vergleichende Religionsforscher, denen zu Mythen und Riten "primitiver" 








30 
Kulturen nur vorgefaßte Deutungsmuster einfallen, die lediglich ihr eigenes Denken spiegeln — 
etwa die notorische Fehlinterpretation sexuell betonter weiblicher Kultfiguren ausschließlich als 
"Fruchtbarkeitsidole", weil in der christlichen Denktradition weibliche Sexualität nur als Mittel 
zur Fortpflanzung toleriert wird und die Vorstellung, sie könnte etwas an sich selbst Heiliges 
sein, einfach undenkbar ist. 


Wer das Heidentum - die Art von Religion, deren Paradigma im europäischen Kulturkreis seit 
der Zwangsmissionierung durch christliche Kaiser und Könige unterdrückt und als "ungeistig", 
fehlerhaft, irreal oder barbarisch und primitiv denunziert wird - verstehen und selbst wieder 
ausüben will, muß aber genau das tun: das Undenkbare zu denken lernen. Heidnisch zu 
denken heißt zuallererst, sich von sämtlichen Vorurteilen der christlich-abendländischen 
Denktradition zu befreien, jede aus ihr überkommene Vorstellung von Göttlichkeit, Heiligkeit, 
Diesseits und Jenseits, Natur und Mensch zu hinterfragen und nichts als bekannt 
vorauszusetzen. 

Dinge, die einander scheinbar gleichen, sind oft ganz verschieden: Die keltische Anderswelt ist 
kein weltfernes Jenseits, sondern inmitten der Alltagswelt gegenwärtig und untrennbar mit ihr 
verwoben, die neun Welten im germanischen Mythos sind durch den Weltbaum Yggdrasil sogar 
ein einziger lebender Organismus, das Schicksal ist keine von außen gelenkte Vorsehung, 
sondern ein immanentes Kausalgesetz, Seele und Geist nicht vom Körper getrennt und die 
Wiedergeburt kein wiederkehrendes Leid, das Erlösung verlangt, sondern ein Aspekt des 
natürlichen Kreislaufs von Werden und Vergehen, der heilig und gut ist. 

Als Naturreligion ist das Heidentum immer jebensbejahend. Eben deshalb, weil es das Heilige 
in der Natur findet, ist ihm das Leben in dieser Welt heilig. Es ist durchaus nicht "diesseitig‘ im 
oberflächlichen Sinn, denn es weiß, daß die Weit tiefer als ihre Oberfläche ist, wohl aber 
insofern, als es Sinn und Ziel des Daseins nicht außerhalb seiner selbst, sondern in der Welt 
und im richtigen Leben sucht. Heiden streben genauso nach religiösem Heil wie die Anhänger 
anderer Religionen, doch sie wollen nicht von der Welt geheilt, sondern in der Weit heil 
werden — ganz (griechisch "holos"), intakt, vollendet und "rund", sowohl im spirituellen als 
auch im ganz handfesten Sinn: gesund, frei und ein bißchen glücklich. Heidnisches Heil ist 
das, worum es auch im 

Christentum den Menschen in Wirklichkeit immer ging, dann nämlich, wenn sie um gesunde 
Kinder, eine gute Ernte und Frieden beteten. "Gute Ernte und Frieden" (Ar ok fridr) war auch der 
traditionelle Heilswunsch der heidnischen Wikinger. Dieses Heil ist keine theologische 
Spekulation, sondern konkret erfahrbar: als Freude an den Segnungen der Natur, als Kraft, 
Schwierigkeiten zu meisten, und selbsi noch im Scheitern, wenn wir mit dieser inneren Kraft 
auch ihm ins Auge sehen können. Das europäische Heidentum war nie groß im Trösten, aber 
stets unerreicht darin, in Dichtungen wie der Völsungasaga und der griechischen Tragödie das 
Scheitern nicht nur schonungslos darzustellen, sondern mit dieser Darstellung auch die Kraft zu 
vermitteln, es anzunehmen. 

Woher aber kommt diese Kraft, an der es Religionen, denen der Weltschmerz nur die Flucht in 
billigen Trost und Verheißungen eines besseren Jenseits erlaubt, ganz offenbar mangelt? Zum 
Teil sicherlich aus der Vitalität früher Kulturen, deren Menschen mit beiden Beinen im Leben 
standen. Der verwöhnte Prinz Siddharta hielt der Konfrontation mit Krankheit, Alter und Tod 
nicht mehr stand, er verzweifelte an der Welt und erfand den Buddhismus. Zivilisationskrüppel 
waren aber auch die Griechen der Spätantike, von denen etliche auf die Erlösungsverheißungen 
orientalischer Jenseitsmysterien abfuhren, ähnlich wie sich heute frustrierte Stadtneurotiker in 
den Netzen von Scientology und abstrusen Geheimkulten fangen. Nur — sehr viele, nach der 
ungebrochenen Beliebtheit der homerischen Götter zu schließen die meisten, verstanden immer 





u. Val irn 


noch, warum es Odysseus, dem Kaıypso Unst 
Familie heimzukehren und einmal zu sterben. 


Denn genau daher kommt diese Kraft: aus den Wurzeln, die uns von Geburt an mit der Natur 
und dem Göttlichen, dem Mysterium allen Seins und der Quelle aller Kraft und Stärke 
verbinden. Die Familie, die Kette der Generationen bis zurück zum Ursprung des Lebens und 
vorwärts in ferne Zukunft, ist ein Teil davon, ein anderer ist das Land, dem wir angehören, die 
Erde, aus der wir gewachsen sind und in die wir zurückkehren 

werden, und ein dritter, nicht unwesentlicher ist das Bewußisein darüber. Religion, lateinisch 
re-ligio, Rückverbindung, ist auch für europäische Heiden, die Eingeborenen unseres 
Kontinents, genau das, was eingeborene Amerikaner in der Sprache des weißen Mannes die 
spirituelle Verbundenheit mit der Erde nennen — das Bewußtsein eingeborener Menschen, dal 
sie eins mit der Erde ihres Landes sind, eins mit der 

Natur, die sie umgibt, deren Geist in ihnen lebt und in deren Geist sie leben. Diese Natur ıst 
nicht "Umwelt", sondern ein Teil von ihnen. Ste sind keine Fremden ın der Welt. Sie sind 
Verwandte, Angehörige allen Seins. 


Deshalb kann man nicht - oder eben nur aus der Sicht eines anderen Paradigmas — behaupten, 
das Heidentum "übersehe" etwas, sei "blind" für ein angeblich höheres Sein jenseits der Welt 
oder ließe die Menschen mit ihren letzten Fragen allein. Diese Fragen stellen sich gar nicht. 
Der Welt — und das heißt, um es noch einmal zu betonen: der Ganzheit des Seins in allen 
seiner Dimensionen, dem umfassenden Organismus der neun Welten Yggdrasils — fehlt gar 
nichts, das man in einem "Reich" suchen müßte, das "nicht von dieser Welt ist." Der 
griechische Philosoph Thales, einer jener ältesten Denker, die in der christlich-abendländischen 
Tradition als "bloße" Naturphilosophen nur noch eine Nebenrolle spielen durften, während die 
Hauptrollen spinnigen Metaphysikern zuerkannt wurden, faßte das heidnische Wissen um die 
Heiligkeit der Natur in einem einzigen Satz: "Alles ist voll von Göttern." Das höhere Sein, das 














32 
sie verkörpern, ist nicht irgendwo draußen. Es ist um uns und in uns, seit jeher und immerdar. 
Wenn wir unsere wahren Ursprünge und Wurzeln in der Natur 
finden, die ganz ohne Zweifel existiert, greifbar und echt ist, haben wir keinen Grund, sie in 
einer erdachten Hinterwelt zu vermuten, von der wir bloß glauben könnten, daß es sie gibt. 


Das Heidentum ist daher auch kein Glaube. Die Gleichsetzung von Religion und Glaube ist 
nur eine protestantische Altlast der deutschen Sprache. Eine der an diesem Buch mitarbeitenden 
Gruppe, der Heidenkreis Hamburg, prägte den Begriff "Erfahrungsreligion". Als solche 
unterscheidet sich das Heidentum einmal dadurch von den Offenbarungsreligionen, daß es 
anstelle einer autoritären Offenbarung eine freie mythische Überlieferung besitzt, die selbst in 
Freiheit entstanden ist und frei akzeptiert und kritisiert werden kann, und zum anderen 
dadurch, daß es an einer solchen Offenbarung auch gar keinen Bedarf hat. Sie würde 
voraussetzen, daß die Menschen selbst nicht in der Lage wären, das Göttliche zu erfahren, und 
deshalb Hilfe von außen bräuchten: gleichsam Signale aus dem All, die der ewige Alien 
schickt, um mit uns in Kontakt zu treten. Seit mindestens 30.000 Jahren — gezählt nach den 
ältesten erhaltenen religiösen Kunstwerken in den Pyrenäenhöhlen und an der Donau — haben 
die Heiden in aller Welt bewiesen, daß das nicht nötig ist. Das Heilige gehört derselben 
Realität an wie wir und ist mit angemessenen Mitteln, die sich millionenfach bewährt haben, 
durchaus erfahrbar. Die Aufgabe der Religion ist es daher nicht, Lehren zu verkünden und 
Glauben an sie zu predigen, sondern diese bewährten Mittel zur eigenen religiösen Erfahrung 
jedes Menschen bereitzustellen oder, wie die Wicca-Heidin Viviane Crowley schreibt, "uns zu 
befähigen, das Universum zu erfahren, um so zu unserem eigenen Verständnis über seine Natur 
und seinen Sinn zu gelangen.” Somit ist Heidentum seibstbestimmite Erfahrungsreligion. Es ist im 
ganz persönlichen Sinn die eigene Religion jedes einzelnen Heiden. 


Zugleich ist es aber die eigene Religion seines Landes, seiner Kultur und Geschichte. Es ist 
keltisches, finnisches, russisches oder japanisches Heidentum, native American und traditional 
African religion, englisches Wicca und nordische Äsatrd. Die Vielfalt und Verschiedenheit der 
heidnischen Traditionen ist notwendig und richtig, denn sie kommt aus der Vielfalt der Natur, 
die überall anders ist, und der Verschiedenheit kultureller und historischer Erfahrungen. Im 
Heidentum wird der Mensch nicht auf das "allgemein Menschliche" reduziert, das ihn zwar mit 
allen Menschen ein wenig, aber mit niemandem fest und ganz verbindet. Der "Mensch an sich" 
ist keine konkrete Person, nur ein auswechselbares Individuum ohne Eigenart, Ursprung und 
Platz in der Welt. Er ist nirgends zu Hause und überall fremd. Daher legen Heiden Wert auf 
historische und kulturelle Verwurzelung, knüpfen an die Tradition ihrer Vorfahren und ihres 
Landes an und begnügen sich nicht mit individueller Selbstverwirklichung und persönlicher 
Reifung. Eine rein kontemplative, nur auf Erhöhung und Weisheit des einzelnen zielende 
Tradition gab es im alten Heidentum ebensowenig wie eine eigentlich elitäre, 
geheimbündlerische. Selbst die Druiden waren keine abgehobene Elite, sondern hatten mit 
ihrem Wissen, ihrer geistigen Stärke und ihren magischen, seherischen und heilenden Kräften in 
erster Linie eine gesellschaftliche Aufgabe zu erfüllen. 

Nur in dieser Einheit von ökologischer, sozialer und traditioneller Verwurzelung und 
Verantwortung kann sich das Heidentum auch als eigene Religion jedes einzelnen 
verwirklichen. Als Lebewesen, die nicht für sich allein existieren, können wir nur in ihr ganz 
und heil werden, nur in ihr sind wir überhaupt wir selbst. "Erkenne dich selbst", der Rat des 
Apollon von Delphi, ist keine Aufforderung zu selbstgenügsamer Nabelbeschau, und "Du selber 
leite dich selbst", wie die Seherin Groa in der Edda sagt, keine Ermunterung zur Beliebigkeit 
oder zu der in heutigen Esoterikerkreisen so weit verbreiteten unbekümmerten Mischung 
verschiedener Traditionen zu einem indifferenten Brei nur sehr iose und künstlich verbundener 
Ideen. Man mag einwenden, daß auch in diesem Beitrag Griechen, Germanen und Kelten bunt 





[a2 


Kell: EHRE 


—- 





durcheinander zitiert werden, doch ich denke hinreichend gezeigt zu haben, daß deren 
Traditionen als Ausprägungen ein und desselben religiösen Paradigmas mit Recht vergieichbar 
sind. Von einer Mischung heterogener Traditionen, etwa Runen und Kabbalistik, keltischer und 
buddhistischer Wiedergeburtslehren, Theosophie und schamanischer Erfahrung, kann man das 
nicht behaupten. Es ist zwar durchaus begrüßenswert, wenn sich esoterisch orientierte 
Menschen nun endlich auch mit den eingeborenen Traditionen der eigenen Länder und 
Kulturen beschäftigen, statt immer nur stur nach dem Osten zu blicken, doch es muß auch klar 
sein, daß sich heidnische Elemente nicht in das bestehende Schema einordren lassen. 


Die landläufige Esoterik verfolgt sein gut zweitausend Jahren, seit sie sich aus den gnostischen, 
neoplatonischen und manichäischen Hinterwelt-Philosophien der Spätantike entwickelt hat, eın 
im Grundprinzip dualistisches Schema, das geistige Höherentwicklung als Abkehr von allem zu 
Irdischen, Materiellen und menschlich Natürlichen sieht. Weltabgewandtheit, Mißachtung des 
sterblichen Lebens, Körper- und Sexualfeindlichkeit gehören trotz allen heute offenbar nötigen 
Gegenbehauptungen zum Grundrepertoire esoterischer Lehren, die auf "Vergeistigung" zielen 
und eine Selbstverwirklichung anstreben, die eigentlich Selbsterlösung ist, also letztlich nur das 
christliche durch das buddhistische Modell ersetzt. Damit bietet die traditionelle 
abendländische Esoterik keine wirkliche Aiternative. Sie ist nur eine weitere Variante im 
Spektrum naturferner Hinterwelt- und Erlösungsiehren, die mit Versatzstücken heterogener 
Traditionen ihr eigenes, Nichteingeweihten verschlossenes "Reich" schafft, das "nicht von dieser 
Welt" ist — und nicht von dieser Geselischaft, denn die selbsternannte Elite der Eingeweihten 
besteht eben nicht aus Druiden und Medizinmännern, die ihrem Stamm dienen, sondern ist 
lediglich an ihrer eigenen, individuellen Vervollkommnung interessiert, 























34 

Ich will nicht alle Esoteriker in einen Topf werfen, aber was heute im Großen und Ganzen im 
Handel ist, bestätigt meine Behauptung, daß das Heidentum der einzige gangbare Weg ist, der 
aus der Entfremdung und Entwurzelung des modernen Menschen hinausführt, ihn wieder mit 
seinen wirklichen Ursprüngen in der Natur und im Göttlichen in Verbindung und Einklang setzt 
und ihm ermöglicht, sein eigenes Wesen als Kind der Natur und der Götter, seines Landes und 
seiner Kultur und Geschichte, als in seinem Dasein geborgener, freier und für sich selbst und 
die Seinen verantwortlicher Angehöriger seiner menschlichen und nichtmenschlichen Mitwelt 
erfüllen, verwirklichen und vollenden zu können. Keine elitäre Selbstverwirklichung auf "rein 
geistiger" Ebene, keine beliebig-synkretistische Heilslehre ohne konkrete Wurzeln, sondern 
einzig das heidnische Paradigma der Einheit von Natur und Gottheit, der bewußten Bindung an 
Erde, Ahnen und Sippe, des Dienstes der Religion am Heil aller auf allen Ebenen des Lebens 
und ihrer Verwurzelung in der eigenen, eingeborenen Tradition ist imstande, uns nach all den 
Jahrhunderten geistiger Fremdbestimmung durch autoritäre Glaubenslehren wieder auf den Weg 
eigenständiger religiöser Erfahrung zu führen. 


Der Markt ist voll von Lehren, deren "Reich nicht von dieser Welt" ist. Sie unterscheiden sich 
nur dem Namen nach voneinander. Das Heidentum, die einzige wirklich "andere" Religion, ist 
die einzige wirkliche Alternative. 


Diesen Artikel fand ich auf einer Seite des Odinic Rite Österreich 
(http: //www.geocities.com/Athens/Olympus/3342)). ich finde, daß er ganz 
Wesentliches beinhaltet. Allerdings muß ich auch gestehen, daß mir bei bestimmten 
Begriffen wie „Tradition unserer Vorfahren und unseres Landes“ ein bißchen muimig 
wird. Andererseits ist der Artikel für mich ein Beispiel eines traditionsbezogenen 
Heidentums, das dennoch über ein hohes Maß an Aufgeklärtheit und 
Reflektionsfähigkeit verfügt. M.W. 


Frühling ! 


VON UTA 


Seit dem letzten Fest im Schnee hat sich die Welt um uns herum verändert. Unmerklich mit den 
ersten Schneeglöckchen im Februar (Imbolc), gefolgt von der früh blühenden Weide und dem 
Haselstrauch, brach die erstarrte Welt des Winters auf. Die Farben kehren nun langsam zurück. 
Immer noch spärlich zeigen sie sich hier als ein gelber Strauch, dort als winzige zartgrüne 
Blättchen in einer Hecke. Noch ist der Winter nicht gegangen. Noch ist das Warten nicht vorbei. 
Doch in seinem letzten Mond ist die Erstarrung des Todes endgültig der Hoffnung auf ein neues 
Leben gewichen. Der Frühling kommt - unaufhaltsam. Du kannst es riechen, fühlen, schmecken 
und in deiner Seele pochen hören. Das Leben will sich wieder entfalten mit jener unbändigen 
Kraft, den jedem Anfang innewohnt. 

Verbunden mit der erwachenden Erde feiern wir das Fest der Tag-und-Nacht-Gleiche, das Fest 
des Aufbruchs in den Frühling. Wir umgeben uns mit den Symbolen der Fruchtbarkeit und des 
Wachstums, der immer empfängnisbereiten Häsin und dem kosmischen Ei, das die Göttin nach 
dem Schöpfungsmythos der Pelasger in Gestalt einer Taube legte, um die Welt zu gebären. 


35 
Um in Kontakt mit der Frühlingsgöttin zu kommen, suche dır einen kleinen, verschwiegenen 
Platz in der Natur. Es muss kein besonderer Kultplatz sein, sondern einfach nur ein Platz, an dem 
du dich wohl fühlst. 
Schaffe dir einen heiligen Raum auf die Weise, die dir vertraut ist (ein Kreis, ein Viereck, eın 
Tempei mit verschiedenen Altären, einfach "bloß" singen ...) und rufe die Hüter der Elemente 
(Tiere, Winde, Elementargeister ..). Lege dann deine mitgebrachten Symbole des Frühlings und 
der Fruchtbarkeit (Blumen, Eier ...) innerhalb deines heiligen Bezirks in die Himmelsrichtung, die 
für dich den Frühling symbolisiert und setze dich in die Mitte des Kreises. 
Schließe nun die Augen und bitte die Wesen des Ortes dich zu beschützen. Wenn du dich ganz 
sicher fühlst, mach eine Entspannungsübung, damit dein Geist leer werden kann ... Du sinkst 
jetzt immer tiefer in dich hinein, bis du die Stelle in deinem Körper erreichst, an der du das 
Gefühl hast ganz bei dir angekommen zu sein... Nimm jetzt auch deine Verbindung zur Erde 
wahr. Spüre die Stelle, an der sich dein Körper an die Erde schmiegt und lass die Energie der 
Erde über deinen Atem in dich einströmen ...Lass nach einer Weile einen Ton in deinem Inneren 
entstehen, in dem sich die Erdenergie ausdrücken kann. Fange an diesen Ton zu singen und lass 
diesen Ton deinen heiligen Bezirk füllen. Die Energie des Tons verdichtet sich dabei immer mehr 
und du beobachtest, wie er sich langsam zu einer zuerst zarten, durchscheinenden Gestalt formt, 
die rasch mehr und mehr an Form gewinnt ... Es ist die Gestalt einer jugendlichen Frau, 
ganz im Grün des Waldes gekleidet, nur ihre Augen sind zeitlos - weder alt noch jung. Um ihr 
Haar ist ein Kranz aus Blüten gewunden, deren süßer Duft dich betört und um sıe herum grünt 
und sprießt alles in üppiger Schönheit. Die wilden Tiere liegen ihr zu Füßen und um ıhren Mund 
spielt ein Lächeln - lieblich, doch nicht ohne Grausamkeit. 

Versuche das Bild der Göttin so lebendig wie möglich zu halten, während du beginnst ihr 
zu Ehren ein Liebeslied (mit oder ohne Worte) zu singen. Verändere deine Melodie, drücke alles 
aus, was dir spontan in den Sinn kommt, zensiere nichts. Es gibt nichts, was blöd ist oder 
unangebracht. Dies ist dein persönlicher Kontakt zur Göttin, den du auf deine persönliche Weise 
gestaltest. ... 

Wenn deine Melodie langsam verebbt, dein Tanz sich dem Ende neigt, kehre noch einmal 

zur großen Gestalt der Göttin zurück. Schau ihr in die tiefen, zeitlosen Augen und stelle ıhr 
stumm die Frage: "Was muss ich tun, um lebendig zu sein?" 
Ihre Augen nehmen jetzt dein ganzes Sichtfeld ein, werden größer und größer, bis nur noch die 
schwarzen Pupillen übrig bleiben. Warte, geborgen in der Dunkelheit der Göttin, auf ein 
Zeichen (Vielleicht hast du plötzlich eine spontane Idee oder eın Bild aus einem Traum fällt cır 
ein oder du hörst den Ruf eines Tieres. Auch hier kann Alles Hinweis sein.) 

Dann kehre wieder an die Stelle in deinem Körper zurück, an der du dich ganz bei dir 
fühlst und spüre die formlose Anwesenheit der Göttin um dich herum. Bedanke dich bei ihr für 
das Wissen, was du erhalten hast und bitte sie, deine Gaben anzunehmen. Dann verabschiede 
dich von ihr. 

Jetzt spürst du wie die Göttin wie ein Spiralnebel zu den Sternen (oder bei Tag: ın den 
blauen Himmel) aufsteigt, um an die Quelle ihres Seins zurückzukehren ... 

Bleibe noch eine Weile sitzen, nimm die Erde unter deinem Körper wahr, höre die 
Geräusche des Waldes in deiner Umgebung. Nimm dann drei tiefe Atemzüge und sage dir: "Ich 
bin jetzt wieder ganz bei mir, auf dieser Welt, in diesem Leben." Öffne danach die Augen. 

Löse nun deinen heiligen Bezirk wieder auf und danke den Hütern der Elemente für ihre 
Anwesenheit. Feiere allein oder mit deinen Freunden ein Fest zu Ehren der Frühlingsgöttin und 


























36 
lasse deine Gaben als Geschenke im Wald zurück (Sie sollten essbar sein, damit sie den Tıeren 


des Waldes auch bekommen.) 
Dieser Artikel erschien in dem befreundeten Magazin STEINKREIS Nr. 30! 





Der Steinkreis 
- pagan network &.V.-1 


Kontakt über: Uta Sprenger. | 


Puntheide 21, 33619 Bielefeld! 








37 


DE CONFESSIO THELEMA 


von 


Frater I.C. 


* * * “ * * * * + * 
VORWORT 


Für jeden, der sich zum Gesetz von Thelema bekennen will, ist es unbedingt notwendig, die zentralen 
Grundsätze dieser unserer Gemeinschaft zu begreifen. Ohne sachliche Kenntnis der Axiome wäre jede 
Mitgliedschaft in einer Gemeinschaft leer und bedeutungslos. Erst das wirkliche intellektuelle Wissen 
um das, was die Gesetze sind, als Grundlage ihre Bedeutung zu erfassen, ermöglicht es, danach sein 
alltägliches Handeln auszurichten, was allein erst ein wirkliches Mitglied einer religiösen 
Gemeinschaft ausmacht. 


In diesem Sinne wenden wir uns auch entschieden gegen die Vorstellung es gäbe eine 2000 jährige 
christlich - abendländische Tradition oder gar Geschichte. Man muß nämlich bedenken, daß erst 
Luther, und mit ihm andere Protestanten, die Bibel, das mythische Orientierungswerk der christlichen 
Sekten, vom Lateinischen in die Muttersprache übersetzten; erst seit Ende des 16. Jhrd. begann sich ein 
religiöser Unterricht an Nichtgeistlichen herauszubilden; erst etwa seit dem 17. Jhrd. begannen immer 
mehr Menschen in Europa selbst lesen zu können. Im fortschrittlichsten Land der frühen Neuzeit, 
Frankreich, konnten um 1789 e.v., also zur französischen Revolution, nur durchschnittlich 30 % lesen. 
Auch wurde die Messe der katholischen Kirche vielerorts noch bis ins 20. Jhrd in lateinischer Sprache 
abgehalten. Bedenkt man dazu, daß bis in die beginnende Neuzeit die meisten Menschen nur ein- bis 
zweimal im Jahr Zeit hatten in eine meist abgelegene Kirche zu gehen, so können wir selbst unter 
gutwilligster Betrachtung nur zwischen etwa 1700 - 1970 e.v., also nicht einmal ganz 300 Jahre, von 
einem christlich abendländischen Zeitalter sprechen, bezogen auf Wissen und Handlungsmöglichkeit 
nach christlicher Ethik unter der breiten Bevölkerung. 


So waren es auch die ethisch informierten und handlungsfähigen Protestanten, die vollbrachten, was 
die katholische Groß - Sekte nicht vermocht hatte : einen deutlichen Bruch im Leben der Gesellschaft 
der Gegenwart im Vergleich zum Mittelalter und der antiken Frühzeit zu erreichen. Denn es war 
maßgeblich die protestantische Ethik des Hortens, Sparens und Gelderwerbens als Zeichen göttlicher 
Gnade, die die ethischen und moralischen Grundsätze herausbildeten, welche heute die Idee des 
Kapitalismus bilden. Max Weber wies diese Wurzeln der heutigen westlichen Nationen vor 
Jahrzehnten in seinem Werk "Die protestantische Ethik und der Geist. des Kapitalismus" nach. 


Dies zu Beginn auszuführen ist für eine Abhandlung über thelemitische Philosophie von 
herausragender Bedeutung, denn es unterstreicht die Relevanz ausführlicher und korrekter Information 
für den Erfolg einer Religion. Wenn Thelema in der Zukunft eine Maßstäbe setzende Gemeinschaft 
sein soll, so müssen die zentralen Punkte immer wieder dargestellt und analysıert werden. Elitäre 
Geheimniskrämerei beeindruckt sicher keinen, zumindest keinen wırklich erwünschten Anwärter. 
Verweise, wie "unfaßbar heilig", "nur für Auserwählte deutlich" oder "ein ewiges Mysterium Gottes" 
sind der Tod für unser Anliegen : nämlich die Menschen als Individuen zum Wissen um ihren wahren 
































38 

Weg zu bringen, und ihnen die Erkenntnis zugänglich zu machen, die sie aus eigenem Vermögen die 
Bedingungen für Zufriedenheit und Weisheit erkennen und verwirklichen lassen. Diese Eigenschaften 
sollen nie wieder von der wie immer definierten Willkür menschlicher oder metaphysischer Wesen, 
wie immer diese beschaffen seien, abhängen. Ein jeder soll durch das Gesetz von Thelema durch sein 
eigenes Wissen und seine eigene Kraft in die Lage versetzt werden, sich glücklich und weise zu 
machen, ohne die rechtmäßige Bahn seiner Nächsten zu stören. 


Somit ist Thelema eine Religion im Sinne des Wortes, also eine Rückbindung. Dies impliziert, daß der 
von uns angestrebte Zustand einmal schon Tatsache gewesen sei. Dies bestreiten wir nicht, sondern 
betonen, daß der Mensch durch die Verwicklungen von Gesellschaft und Zivilisation ebenso in die irre 
geführt wurde, wie das Machtstreben Einzelner, die den Menschen eine Moral vermittelten, die sie von 
sich selbst fortführte, indem sie steinerne und hölzerne Götzen anbeten sollten, ihre eigene Größe für 
die Verwahrlosung anderer opferten sollten oder indem sie durch die Übermacht äußerlicher 
Erscheinungen ihren wahren Willen und Weg vergaßen, sei dies durch Verfolgung oder die Verlockung 
durch Güter. Den kritischen Geistern gegenüber jedoch beharren wir keineswegs darauf, daß unser 
Gesetz aufs Haar von früheren Zeiten und Völkern in der Tat ausgeführt wurde, meinen jedoch, daß 
gewisse vergangene Kulturen dieses Ideal durchaus wesentlich faßlicher umzusetzen vermochten, als 
dies die gegenwärtigen, allen voran die westlich - christliche, erreichen. 


Schließlich drücken wir unser Bedauern aus, daß 89 Jahre nach dem Diktat des "Buch des Gesetzes", 
welcher unser Hort der Weisheit und die mystische Offenbarung der höchsten Genies darstellt, die 
Darlegung und Proklamation des Gesetzes des neuen Äons und das Tor zu Freiheit, Glückseligkeit und 
Volikommenheit für die Menschen aller kommenden Äonen, zahlreiche kleine Gemeinschaften unter 
dem Siegel von Thelema schönreden, die wenig von der ursprünglichen und tatsächlichen Lehre 
verstanden haben und verbreiten. Vor allem durch jene ist Thelema in den ungerechtfertigten Ruf 
gekommen Teufelsanbeterei, menschenfeindlich und ein neuer Aberglaube zu sein. Ersteres erweist 
sich sofort als falsch, wenn man erkennt, daß es kein Bestandteil thelemitischer Philosophie ist, 
irgendein Wesen anzubeten oder zu verehren, wie auch Vorstellungen wie "Gott" oder "Teufel" als 
primitiv und irrational verworfen werden. Dieses Mißverständnis ist teils auch auf die häufige 
Betätigung im religiösen oder magischen Sektor gegenwärtiger Thelemiten zurückzuführen. Wir 
wiederholen aber, daß dies kein Bestandteil von Thelema ist oder sein sollte. Der Vorwurf 
menschenfeindlich oder gesellschaftsfeindlich zu sein, ist ein billiger Versuch der Diffamierung, 
beruhend auf der Ignoranz oder tatsächlichen Unkenntnis unserer Schriften. Oft werden verkürzte 
Zitate, die eine symbolische Bedeutung haben, aus ihrem Kontext gegriffen zitiert und gegen uns 
gegenüber einem nicht informierten Publikum verwandt. Auf diese Weise zu operieren zeigt nur aufs 
Neue deren Unredlichkeit, und den Unwillen, das Individuum als Entscheidungsinstanz zu 
respektieren. Dem dritten Vorwurf will ich durch die Logik der wesentlichen Aussagen aus dem "Buch 
des Gesetzes" (auch : "Liber Al vel Legis" kurz Liber Al oder Liber Legis) entgegentreten, die im 
Folgenden dargelegt werden sollen. 


Ich betone, daß über das hier Gesagte hinaus ein jeder selbst zu entscheiden verpflichtet ist, und ihm 
keiner das Recht und die Bürde abnehmen kann, dies abzuwägen und nach seiner Erkenntnis 
umzusetzen. Ich selbst zweifle nicht, daß das Gesetz von Thelema in seiner wahren Bedeutung einst 
Richtschnur aller Menschen sein wird, denn wie falsches Handeln nach dem rationalen Gesetz von 
Ursache und Wirkung den Handelnden selbst zerstört, so gilt auch das Gegenteil, wie es im Liber Legis 
IIE, 42 heißt : "Erfolg ist dein Beweis." 





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I. DAS IST GESETZ FÜR ALLE 
"... Do what thou wilt shall be the whole ofthe Law." (Liber Legis, Buch I, Vers 40) 
>> Tu was du willst soll sein das ganze von dem Gesetz. << 


Dies ist der Kern der thelemitischen Lehre, der Gruß unter uns, dessen elf Worte den Schlüssel zu aller 
Erfüllung darstellen, und dessen Verdrehung in "Tu was dir gefällt..." die gefährlichste und 
verkehrteste Mißdeutung darstellt. Dieser Wille wird von uns nicht umsonst auch 'wahrer Wille‘ 
genannt, weil wir meinen, es gibt für jeden auch eine Unzahl falscher "Willen", weiche wir Wünsche 
nennen, und von Buddha Begierden oder Anhaftungen genannt wurden. Die Idee des wahren Willens 
ist fast identisch mit Lao Tse's Vorstellung vom Tao; es bedeutet, daß jedes Individuum eine nur ihm 
eigene Laufbahn hat, seinen Weg, der für ihn der einzig geeignete ist, und der in ihm verborgen liegt, 
sich von dem unterscheidet, was durch spontane Wirkungen, wie die gesirige Werbung, oder 
längerfristige, wie seine Sozialisation, seine Wünsche und Handlungen beeinflußt. Der hintere Teil des 
Satzes drückt aus, daß dies das ganze Gesetz ist. Da ist keine Einschränkung, keine Bedingung, kein 
aber. e ganze Problem dreht sich nur um die Erkenntnis dessen, was der eigene wahre Wille ıst, und 
was nicht. 


Dieses Gesetz ist völlig starr und unbeugsam, denn keine Handlung wird fortan gebilligt, als dıe der 
eigenen inneren Notwendigkeit. Es heißt auch : "Du hast kein Recht, außer deinen Willen zu tun.” 
Aber dies Gesetz ist auch völlig biegsam, denn es kann von jedem Menschen nach seiner Situation 
angewandt werden. Darin unterscheidet es sich von zeitlich oder räumlich begrenzten Gesetzen, wie 
das Hebräische Verbot des Essens von Schweinefleisch, welches mit Sicherheit mit der schnellen 
Verderblichkeit von Schweinefleisch bei der orientalischen Hitze zusammen hängt. 


"For pure will, unassuaged of purpose, delivered from the lust of result, is every way perfect." (I, 44) 
>> Denn reiner Wille, unbefleckt von Absicht, befreit vom Gelüst nach Ergebnis, ist ın jeder Weise 
vollkommen. << 


Dies untermauert, daß sich der wahre Wille grundlegend von den Wünschen unterscheidet, er ist 
vieimehr das Schreiten auf seinem wahren Weg, um des Schreitens willen, in Einheit mit dem Weg. 
Derjenige, welcher geht, hat dabei kein festes Ziel mehr vor Augen, der Weg ist das Ziel geworden. 
Dies wird im zweiten Buch reflektiert durch die Verse 30 - 32 "Wenn der Wille anhält und 'warım' 
ruft, und dadurch 'weil' anruft, dann steht der Wille still und bleibt untätig. Wenn Kraft warum fragt, 
dann ist Kraft Schwäche. Auch Vernunft ist eine Lüge, denn da ist ein Faktor, unendlich und 
unbekannt, und alle ihre Worte sind verdreht." 


Dies verwirft die rationale Frage nach der Ergründung einer Motivation; so wie der Vogel seine Natur 
auslebt und fliegt, ohne begründen zu müssen, warum er nicht rennt oder taucht, soli der Mensch nach 
seiner inneren, wahren Natur, seinem wahren Willen gemäß handeln, nachdem er diesen ausgemacht 
hat. Im unendlichen Kosmos hat der beschränkt ausgestattete Mensch gar nicht die Möglichkeit, 
absolut wasserdichte Begründungen zu finden. Da man weder allwıssend noch aligegenwärtg ist, ıst 












































EWREHRBRHTTURRERGENSUESLRESEE HERNE HERR URS OENB EEE BTENZRTEEEE 





40 

jede Aussage immer relatıv;, rationale Analyse erklärt sowieso einen Sachverhalt immer nur 
symbolisch. Eın Ding wird a genannt, welches wir in Abgrenzung von b definieren, welches wiederum 
durch c erklärt wird, usw. Entweder drehen wir uns so im Kreise, oder wir kommen in unendliche 
Definitionslücken. Die Mißachtung der Tatsache, daß Logik die Wirklichkeit nie ganz erfassen kann, 
wird unsere Gesellschaft womöglich völlig von jeder Realiätserfahrung entfremden. Vollkommene 
Handlungen geschehen absolut automatischh wie Bergsteigen, Schreibmaschine schreiben, 
Schwimmen, Laufen usw. Ebenso ist der wahre Wille zu verstehen. 


"Every man and every woman is s star." (I, 3) 
>> Jeder Mann und jede Frau ist ein Stern. << 


Dies betont den Stern - Charakter des Menschen, der seinen wahren Willen folgt; er ist wie ein Planet 
oder ein Stern, der seiner Bahn folgt. Auf diese Weise erfüllt er seine Funktion im Kosmos, jedoch 
völlig absichtslos. Wenn jeder nur seiner Bahn folgen würde, nicht achtend und ständig sorgend, was 
die anderen machen, gäbe es keine Interferenz der Wege, jeder wäre frei. Wird derjenige, der seinem 
wahren Willen folgt aber gestört, so ist dies zweifellos das Ergebnis des anderen, der versucht, seiner 
wahren Natur fremde Wege zu gehen. Es verweist uns darauf, daß jedes Menschen Bahn auch völlig 
einmalig ist, und kein anderer sie gehen könnte. Jeder Mensch ist so absolut einmalig, und mehr als 
Biologie und Psychologie aus dem Menschen zu machen suchen. Seinem Willen folgend kann keiner 
ihn selbst ersetzen, mag auch seine Funktion ersetzbar scheinen, so wird doch kein Mensch sie genauso 
ausfüllen, das gleiche dabei fühlen und denken, nicht er selbst sein. 


Auch betont dies, daß jeder Mensch, gleich ob Mann oder Frau, diese Einmaligkeit und Sternen - Natur 
hat. Die Gleichwertigkeit nicht nur von Mann und Frau, sondern jedes Menschen als ein Stern wird 
darin verkündet. Natürlich unterscheiden sich die Menschen in ihren Eigenschaften, ihrem Wissen und 
ihren Wünschen, aber letztlich sind alle Erscheinungen des gleichen Ursprungs, alle mit der Fähigkeit 
ausgestattet, diese Urnatur wieder zu entfalten, ungeachtet der Tatsache, daß die sozusagen 
"Unerwachten" in der Tat die uns bekannte Masse sich unterscheidender Einzelgänger sind, denen 
Biologie, Soziologie und Physik als Erscheinung auf der Spur sind. Diese Sternnatur muß erkannt und 
befreit werden. 


"... Bind nothing ! Let there be no difference made among you between any thing and any other thing, 
for thereby cometh hurt." (1, 22) 

>> Bindet nichts ! Lasset da keinen Unterschied sein zwischen irgendeiner Sache und irgendeiner 
anderen Sache, denn dadurch kommet Schmerz." << 


Dies führt das Vorangegangene fort, und betont, daß alle Erfahrungen gleichwertig sind. Kein Erlebnis 
ist an sich irgendwie, erst unser menschliches Vorhandensein und die Interpretation durch unseren 
Geist macht sie zu beurteilten Erfahrungen. Ein Gasherd, der explodiert, und uns verbrennt, ist nicht 
böse oder tückisch, sondern einfach schlecht gewartet. Aber auch der Schläger, der uns bedroht ist 
nicht böse, er setzt einfach seine Erfahrungen auf die Weise um, die er lernte, oder weil ihm andere 
sich nicht erschlossen haben. Natürlich werden diese Erlebnisse dadurch für unseren Körper und das 
Gemüt nicht weniger Schmerzhaft, aber dies zu bedenken ermöglicht es uns, Ereignisse einfach als 
Tatsachen zu betrachten, denen man mit Mitteln begegnen kann, und denen man nicht ausgeliefert ist. 
Auch heißt es, daß alle Dinge einen Nutzen haben, und wir so groß sind, wie wir Nutzen aus allen 
Dingen zu ziehen in der Lage sind. Im Bilde unseres Kosmos haben alle Dinge einen Platz, und das 
Problem besteht darin, daß ein jeder den Richtigen erkennt und ausfüllt. 





GE 

Alles was ist, ist nach dem thelemitischen Weltbild ein Sakrament, ein Spiel des göttlichen Alls mit 
dem Menschen. So lautet auch die Anforderung den Magister Templi, einen der höchsten Grade im 
thelemitischen System der Einweihung, jedes Phänomen als eine persönliche Beschäftigung Gottes mit 
dem Sucher aufzufassen. So erkennt er alles Seiende als prinzipiell gleichwertige Offenbarung des 
Kosmos. 


"The Khabs is ın the Khu, not the Khu in the Khabs." (I, 8) 
>> Das Khabs ist im Khu, nicht das Khu im Khabs. << 


Khabs ıst der altägyptische Begriff für das göttliche Licht, bedeutungsverwandt mit dem 
kabbalistischen Kether, dem hinduistischen Atman und Jesus’ "Königreich Gottes". Khu ist die äußere 
menschliche Erscheinung, besonders die spirituellen Anteile, wie Äther- und Astraikörper, betonend. 
Dies stelit eine völlige Umkehr der traditionellen und populären Sichtweise dar, die den Mensch und 
seine spirituellen Anteile als Mikrokosmos eines amorphen göttliche Alls sieht; diese Interpretation der 
Schöpfung nennt man meist Pantheismus. Er vergleicht den Mensch mit der Zelle des Organismus, 
sieht ihn als kleiner Teil, als Abbild eines göttlichen Kosmos. Das Liber Legis kehrt diese Vorstellung 
vollkommen um; darin wırd das sogenannte Göttliche als im menschlichen Individuum wohnend 
dargelegt. Man selbst ist dieses göttliche Selbst, welches um sich einen Verstand, ein Gemüt und einen 
Körper errichtet hat, das im Laufe der Zeit aber seine wahre, einstige Natur verdrängt und vergessen 
hat, und schließlich auch in niemand anders dieses göttliche Selbst mehr duldet, weshalb viele 
gegenüber anderen Befreiten feindlich reagieren. Es ist das Ego von Verstand und Gefühl, welches um 
seine Herrschaft fürchtet und nicht nur jede Regung des Selbst in sich durch Rationalisierung oder 
emotionale Überschwemmung verdrängt, sondern mit den gleichen Mechanismen es auch in keinem 
Mitmenschen akzeptieren will. Sozialisation, Bildung und Kommunikation der ganzen "gefangenen" 
Geselischaft laufen darauf hinaus, dieses göttliche Selbst zugunsten des Egos zu unterdrücken. 


Der große Fehler der Mystiker liegt darin, das Göttliche als etwas größeres, außerhalb seiendes zu 
erklären; dadurch nehmen sie sich die Fähigkeit, selbst zu handeln und die Probleme der Geselischaft 
aktiv anzugehen. Meist ziehen sich Mystiker vom Leben zurück, weil sie unfähig sind, mit alltäglichen 
Schwierigkeiten zu handhaben. Sie sind auch nicht bereit, ihr wirkliches Alleinsein zu akzeptieren, und 
suchen ein göttliches 'Du’ als von sich getrennte Einheit. Das Liber Legis fordert unmißverständlich die 
völlig Identifikation mit dem Göttlichen, so heißt es in II, 23 : "Ich bin allein : da ist kein Gott wo ıch 
bin." Klar, denn man ist es selbst. 


"... Refuse none, but thou shalt know and destroy the traitors. ... Success ıs thy proof : argue not; 
convert not; talk not overmuch ! Them that seek to entrap thee, to overthrow thee, them attack without 
pity or quarter and destroy them utterly. Swift as a trodden serpent turn and strike ! Be thou yet 
deadlier than he ! Drag their souls to awful torment : laught at their fear : spit upon them !" (TI, 42) 

>> Weise niemanden ab, aber du sollst die Verräter kennen und zerschlagen. ... Erfolg ıst dein Beweis : 
disputiere nicht; bekehre nicht; rede nicht zuviel ! Jene, die dir Fallen stellen wollen, die dich 
niederwerfen wollen, die greife an ohne Mitleid oder Nachsicht und richte sie zugrunde. Schnell wie 















































42 
eine getretene Schlange wende dich und schlage zu ! Sei du noch tödlicher als sie ! Zerre ihre Seelen 
hinab zu schrecklicher Qual : lache ihrer Furcht : spucke auf sie ! << 


Dies betont auf menschlicher Ebene eine Einstellung echten geistigen und ethischen Adels. Man sei 
jedem Menschen gegenüber völlig offen und ohne Voreingenommenheit; ein Jeder hat seine Chance zu 
bekommen, keiner, der sich an uns wendet darf zurückgewiesen werden aus Laune oder Antipathie 
heraus. Aber die Gegner unseres wahren Wiilens müssen wir mit aller Kraft bekämpfen, zu stark ist 
ihre Präsenz. Dies betrifft sowohl Verräter in uns, also wieder aufkommende Neigungen und 
Gewohnheiten, die uns von unserer wahren Bahn abbringen, wie auch andere Menschen, die uns 
nötigen, sich ihren Normen und Vorstellungen zu unterwerfen. Wir müssen auch die Forderungen der 


"besten Freunde" zurückweisen. Niemand kann uns besser sagen, welches unser wahres Wesen ist, so 
gut solche Ratschläge gemeint sein mögen. Jede aus eigenem Entschluß gemachte Erfahrung ist besser, 
als jedes noch so erfreuliche Resultat aufgrund eines Ratschlags, der unserem Wesen eigentlich 
widersprach. Man muß seine Mitmenschen nicht gleich umbringen, wenn sie meinen, die eigenen 
Probleme besser zu kennen, aber dauernde Ratgeber resolut zurechtweisen und unter Umständen 
resolut aus dem eigenen Leben verbannen. Die christliche Idee des Mitleids kann an dieser Stelle nicht 
nur dazu führen, daß das Übel am Leben gehalten wird, sondern daß es sich irgendwann auch gegen 
uns wendet, und seine einstigen Ernährer frißt. Eine solche selbstzerstörende Haltung kann kein geistig 
- ethischer Adel rechtfertigen, denn seine Qualitäten werden durch die Verrotteten zunichte gemacht, 
die dann auch der Gesellschaft fehlen. Er ist also in jeglichem Sinne verpflichtet seine Fähigkeiten der 


Menschheit zu erhalten, und nicht nur für sich, sondern als lebendiges Vorbild statt als Märtyrer aus 
Schwäche heraus. 





ll. DIE GEMEINSCHAFT VON THELEMA 
"Now ye shall know that the chosen priest and aposte of the infinite space is the prince-priest the 
Beast; and in his woman calied the Scarlet Woman is all power given. They shall gather my children 
into their fold: they shall bring the glory of the stars into the hearts of man." (1, 15) 
>> Nun sollt ihr wissen, daß der erwählte Priester und Apostel des unendlichen Raumes der Priester 
der Prinzen, das Tier ist; und seiner Frau, genannt das Scharlachweib, ist alle Kraft gegeben. Sie sollen 


meine Kinder in ihre Schar bringen; sie sollen die Herrlichkeit der Sterne in die Herzen der Menschen 
bringen. << 


Hier werden zwei wichtige Ämter dargestellt. Das erste ist das Tier, oder das Amt des Therion, 
welches Aleister Crowley als Erster inne hatte. Ihm wurde die Verantwortung übertragen, das Äon zu 
eröffnen, wie es anderen zu anderen Zeiten gegeben war, wie z.B. Jeheshua ("Jesus' in Vulgärsprache) 
von 2000 Jahren oder Moshe, Krishna und Zoroaster. Therion (griech.: "Tier") ist der Titel des 
obersten Priesters, etwa dem christlichen Papst, dem buddhistischen Dalai Lama oder dem jüdıschen 
Oberrabbiner vergleichbar. Schon Crowley betonte in seinen Kommentaren, daß es sich um ein Amt 
handelt, und nicht, wie viele meinen, um Crowleys einmaligen Namen. Das Tier ist eine Verkörperung, 
ein Avatar, der durch ein Amt vertreten wird. Es unterscheidet sich aber von den zuvor genannten, daß 
kein Mensch einem dies Amt verleihen kann. Nur einer, der im magischen Orden den Abyssos 





43. 

überschritten hat, also einen besonderen, hohen Grad der Einweihung inne hat, kann Therıon werden. 
Er wird es kraft seines Wissens und seiner Macht. So kommt es, daß dies Amt auch nicht 
notwendigerweise kontinuierlich durch einen inkarnierten Menschen verkörpert wird, da Inkarnation, 
also physische Körperlichkeit keine Bedingung für einen so hoch Eingeweihten darstellt. So hat der 
einst als Aleister Crowley Inkamierte noch immer das Amt des T herion inne, bis ein neuer Magus zu 
dieser Aufgabe erwählt wird. Im Moment gibt es einige wenige, aber vielversprechende Anwärter, dıe 
im verborgenen wirken, und sich den aufrecht Suchenden einst und zur rechten Zeit ebenso offenbaren, 
wie der jetzige Meister Therion dem Autor dieser Zeilen. 


Das Scharlachweib hat weniger die Funktion des Erklärers der Mysterien, sie ist die, die die Kraft des 
neuen Äons in der Welt verankert; sie nimmt die Kraft der Initiierten auf, und verteilt sie auf die 
Menschen, um die nötigen Entwicklungen zu erreichen, die das Äon und das Gesetz von Thelema einst 
vollenden. Sie wird durch ihre Fähigkeiten bestimmt und vom Therion bestätigt, durch Kräfte und 
Wissen, die jedem anderen unerreichbar sind. Dem Sucher und Eingeweihten offenbart sich ihre wahre 
Natur ebenso wie die des Therions, und ich hege keinen Zweifel, daß sie durch das ganze Äon von 
Horus hindurch würdige wie erfolgreiche Vertreter der thelemitischen Bewegung seın werden. Ihre 
gemeinsame Aufgabe ist den Menschen zu helfen, ihre Sternen - Natur zu erwecken, damit sie ihren 
wahren Willen erkennen und vollbringen können. 


"But she said : The ordeals I write not; the rituals shall be half known and half concealed; the Law ıs 
for all." (1, 34) 

>> Dann sprach sie : Die Prüfungen schreibe ich nicht; die Rituale sollen halb bekannt sein und halb 
verborgen; das Gesetz ist für alle.<< 


Dies führt ein sehr wichtiges Thema ein. Es besteht ein geheimes und sehr komplexes System 
spiritueller Einweihung in Wissen und Macht. Dies ist der Orden "Argenteum Astrum ; weichem 
geheime Meister unter Vorsitz des Therion vorstehen. Sie leiten eine Hierarchie von Eingeweihten, die 
im Verborgenen dafür sorgen, daß dies Zeitalter seinen notwendigen Gang geht, und jeder wirklich 
Bereite sich auf den Weg machen kann, seinen wahren Willen zu ergründen und zu verwirklichen. 
Diese Gemeinschaft bietet die schnellste, sicherste und angemessenste Methode den wahren Willen zu 
erkennen und schließlich umsetzen zu können. Aber die Prüfungen und Initiationen bleiben geheim, 
denn der Orden bildet die künftige Elite aus. "Lasset meine Diener Wenige und Geheime a. sie 
sollen die Bekannten und Vielen regieren." (1,10) Ihr überlegenes Wissen und ihre subtile Kraft soll die 
alte Ordnung zerschlagen und schließlich eine neue, nach thelemitischer Grundlage aufbauen. Aber 
wer, der ihnen nicht angehört, kann ihre Pläne wirklich kennen ? 


Die Rituale teilen sich in zwei Arten; solche für die, die zu dieser Elite des Wissens und der Macht 
aufsteigen wollen, und solche, die zwar ihrem wahren Willen folgend Thelemiten sind, aber a 
anderen dazu verhelfen, weil ihre Aufgabe, ihre Natur eine andere ist. Diese ist nicht weniger wichtig 
oder ehrenhaft, sie ist einfach anders beschaffen und erfordert: eine ‚andere Organı sation und 
Erscheinung. Die Rituale sollen nicht nur die Zusammengehörigkeit festigen, ‚sondern ‚die feıneren 
Kräfte den anderen übermitteln und das höhere Wissen dem Rest allmählich nahebringen und 
offenbaren. 


ießli > Gesetz sein soll, gilt für 
Das Gesetz schließlich, also Thelema, bzw. daß Tu was Du willst das ganze 1 sol 
alle Menschen: dies, und keiner der anderen Sätze soll das Gebot für die ganze Menschheit sein. Er ist 
Anfang und Ende aller Handlungsrichtlinien. Der Rest des Liber Legıs ıst Hilfestellung, Erläuterung 


und Appendix. 



































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this is our law and the joy of the world. Thınk not, o king, upon that ie . That Thou Must Die : vers 
dir it t, ia 73 71. 
thou shalt not die but bive...” (IL, 21) 


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»>Nichts haben wir gemein mit den Verworienen und den Schwachen . lasse sie stersen ın IAre: 


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Misere. Denn sie fühlen nicht. Mitleid ist das Laster der Könige : trete nieder die Falschen und cıe 


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Schwachen - @le8 ISt das (sesetz dei Stärke dies ist unser Geseiz und die Freude der \ 


ich NK Aänı ap an FH h a or . . 1.4 4 
nicht, O König, an die Lüge, daß du sterben mußt; wahrlich. du sollst nicht sterben sondern leben. 





ra} no „1 
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45 


Dieser Abschnitt wendet sich zunächst gegen das Duckmäusertum und die scheinbare Anpassung. 
Viele, die dem spirituellen Pfad folgen, versuchen sich möglichst "normal" zu geben, sich den anderen 
anzupassen, halten sich zurück mit ihren Ansichten, auch wenn die "Normalen" ihre Ansichten zu jeder 
sich bietenden Gelegenheit zu Markte tragen. Sie glauben, wenn man so täte, als sei man wie jene, SO 
würden sie es einem Danken, indem sie ihn dulden und akzeptieren. Aber dies ist ein Irrglaube. Man 
glaubt ein wenig seiner Meinungen für ein wenig gesellschaftliche Anerkennung verschachern zu 
können. Damit tut man seiner Sache keinen Gefallen. Wer so falsch ist, Gleichheit zu heucheln, auch 
wenn sich sein Innerstes gegen die Macht der Masse wehrt, kann kein wirklicher Anhänger eines 
spirituellen Weges sein, und wieviel weniger ein Thelemit. Auch die Schwäche ist keine 
Rechtfertigung, sondern beweist nur das Mißtrauen in die eigenen Ideale. kein Schwacher kann gut 
sein, denn gut sein erfordert Stärke. Das mitleidige Hilfeleisten bei Leuten, die durch eigene Fehler ihr 
Verderben bereitet haben, nimmt ihnen meist jede Möglichkeit, daraus zu lernen. Auch verewigt es die 
Mißstände in der Gesellschaft. Zur Kritik am Mitleid lese man Nietzsches "Antichrist". 


In den meisten Fällen sind die mitleiderfüllten Helfer nur durch ihre eigene Furcht selbst so tief zu 
fallen, dazu motiviert anderen ihre Hilfe anzubieten. Aber die Hilfe eines Schwachen an einem 
Schwachen kann keine Stärke hervorbringen. Hast du das Recht, deinem Mitmenschen die Erfahrungen 
eines Lebens dadurch zu rauben, daß du ihn bemitleidest ? Das Liber Legis verbietet keine Hilfe. Aber 
es ist die heute verbreitete geistige Einstellung, die den Helfenden zu einem feinen Kerl und den 
Gefallenen zu einem Schuldner macht. Wenn du wirklich helfen willst, so prüfe dein Inneres sorgsam 
und streng, ob es nicht nur deine Furcht und dein schlechtes Gewissen sind. Ein Thelemit leistet nur 
Hilfe, wie sie ein Ritter einem anderen leistet, der etwa durch Unachtsamkeit sein Schwert fallen 
gelassen hat, und es ihm reicht, oder der hintergangen wurde, und ihm hilft, wieder seinen Weg zu 
finden, um seinen Wahren Willen zu verwirklichen. 


Wie in Liber Legis ID, 42 bezieht sich dieser Satz aber auch auf eigene innere Einstellungen. Lüge, 
Schwäche und Feigheit sind mit Thelema unvereinbare Eigenschaften. Jeder Thelemit muß eine äußerst 
strenge Selbstdisziplin üben, um nicht sein Gemüt sondern den wahren Willen Herr seiner Handlungen 
sei zu lassen. Schließlich legt das Liber Legis die Vorstellung eines unsterblichen höheren Selbst des 
Menschen dar. Zwar wird der Leib vergehen, aber das Selbst des Menschen verbleibt ewig. Dieser 
Gedanke ist sorgfältig unterschieden von der Vorstellung der Seele, wie sie etwa die Christen vertreten. 
Dieses Selbst und seine Bahn ist keine psychologische Instanz, die einem "dreinredet" wie das 
Gewissen. Es ist die Verkörperung dieses Weges. Es ist der Mensch höchst selbst, nicht ein eigener 
Teil innerer Demokratie. Der Mensch ist in Wirklichkeit nur dieses Selbst, letztlich sind Körper, 


Gemüt und Verstand nur einst erschaffene Spieizeuge. Das Selbst wird diese schließlich doch dahin 


bringen, wohin das Selbst es will. Und nur mit diesem Selbst sich zu identifizieren, sich quası 
wiedererkennen kann die Aufgabe der Initiation sein. 


"He that is righteous shall be righteous still; he that is filthy shall be filthy still." (I, 57) 
>>Wer rechtschaffen ist, der soll auch fortan rechtschaffen bleiben. Wer unflätig ist soll auch weiterhin 


unflätig bleiben. << 


Das Tao Teh King demonstriert uns seine Weisheit, indem es rechtschaffen und unflätig als Fehlurteiie 
verwirft, und im Lichte des zuvor gesagten ist dies auch so. Aber der Mensch isi ein sozialisiertes 
Wesen, und er wird, wenn er nicht eine hohe Stufe der Erleuchtung erreicht hat, immer unterscheiden 
zwischen ehrenhaft und niedrig, gleich wie weit seine Toleranz geht, so muß er doch Grenzen setzen, 
sei es auch nur, um seine Ego - Individualität zu erkennen. Für uns, die wir nicht so weit wie Lao Tse 
oder die Stoiker sind, alles Äußerliche zu verwerfen, ja sogar alles von Gemüt und Verstand kommende 
























































46 

nicht mehr zu bewerten, muß jedoch klar werden, daß die Unterschiedlichkeit der Aufgaben keine 
Wertung darstellt. Im Buch des Gesetzes heißt es nach der Erklärung der Aufgaben von Therion und 
Scharlachweib, daß "ihr" (die anderen Leser) "nicht so erwählt seien." Es heißt nicht, daß alle anderen 
weniger erwählt, also wichtig seien, sondern daß ihr Weg einfach anders ist. Die Elite hat kein Recht, 
die Dissidente zu verachten, denn ohne sie wäre die Gesellschaft wie ein Kopf ohne Körper. Aber die 
Dissidente muß ihren Platz anerkennen. Und dieser Platz wird einem von keinem Menschen noch von 
einem Gott zugeteilt; es ist der eigene, wahre Wille, der den Erfolg nur auf diesem wahren Weg 
ermöglich. 





Ein Wort muß aber nun gesagt werden zu dem Begriff des "Erfolges", welcher ın unserer Philosophie 
eine solche Schlüsselposition einnimmt. Unsere Vorstellung von Erfolg muß von der der Menschen 
sorgfältig unterschieden werden, und wie könnte es auch anders sein, ıst doch unsere Instanz eine jenen 
völlig fremde. Ein Manager mag durchaus reich werden, mächtig unter den Menschen und völlig mit 
sich zufrieden, aber dennoch in unserem Sinne erfolglos sein. Diese Kritik unterscheidet sich sehr von 
der eines Christen, welcher den Starken fürchtet und ihm daher einzureden trachtet, daß ihn sein Erfolg 
unglücklich macht. Unser Erfolg fragt immer danach ob es mein Wille war dieses oder jenes zu tun, 
oder ob ich nur die Wünsche meiner Umwelt reflektiert habe. Dies erfodert eine tiefe 
Selbstintrospektion, eine mentales Training wie es u.a. der Argenteum Astrum aber auch zahlreiche 
andere Geimeinschaften lehren. Die letztliche Lösung dieses Konfliktes besteht nur in der Erlangung 
bestimmter Initiationen, die allein den Zugang zu Kräften und Fähigkeiten ermöglichen, welche einen 
jeden für sich erkennen lassen, welches der eigene wahren Wille ist. Für jeden sieht dieser Weg etwas 
anders aus, und alle haben doch gewisse Gemeinsamkeiten darın. 


"The ending of the words is the Word Abrahadabra." (Hl, 75) 
>>Das Ende der Worte ist das Wort Abrahadabra.<< 


Mit diesem Satz endet das Buch des Gesetzes, und dies ist von größter Bedeutung. Abrahadabdra ıst 
das Wort des Großen Werkes, d.h. es symbolisiert und erklärt die höchste Initiatıon und letzte 
Erleuchtung, das Ziel und der Ausgangspunkt aller magischen Arbeit. Dies ist gleichbedeutend mit 
dem, was die Kommunikation mit dem eigenen göttlichen Genius und der Zerstörung des Ego sowie 
der Identifikation mit dem höheren Selbst genannt wird. Dies ist die einzige Möglichkeit, wırklich zu 
erkennen, was der eigene wahre Wille ist, und obgleich es nicht jedem Menschen zu dieser Zeit 
gegeben ist, dies zu erreichen, so können doch viele, die dies nun beginnen auch mit der Möglichkeit 
rechnen, dies in dieser Inkarnation noch abzuschließen, so sie jung genug und fleißig sind. 


Mit dem Erlangen dieses Grades, nämlich eines Adeptus Minor, und ın seiner Vollendung als en 
Magus, hört die Notwendigkeit für Worte, Gesetze und Belehrungen auf, daher ist Abrahadabra das 
Ende der Worte. Es ist das Ziel, für welches sich einzusetzen es sich ausschließlich iohnt, und das 
überhaupt erst die Grundlage dafür schafft, die wahren Willen erfolgreich umzusetzen. Dies bedeutet 
zunächst ein Aufgeben der Macht von Körper, Gemüt und Verstand zugunsten des Selbst und 





47 
schließlich die notwendige Aufgabe der Existenz dieser drei. Diese Angelegenheit ist weit jensits der 
Erläuterbarkeit durch Worte, und darım unmöglich zu schmähen, zu profanisieren oder zu untergraben, 
und darum soll nichts weiter gesagt werden hierüber, außer zu jenen, welche alles aufgaben und sich 
aufmachten, dies zu erreichen. 


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I. DIE FREUDE DER WELT - THELEMITISCHE MORAL 


"Fear not at all; fear neither man nor Fates, nor gods, nor anything. Money fear not, nor laughten of the 
folk foliy, nor any other power in heaven or upon the earth or under the earth. ..." (IT, 17) 

>> Fürchte überhaupt nichts, fürchte werder Menschen noch Schicksale, noch Götter, noch 
irgendetwas. Geld fürchte nicht, noch das Gelächter der törichten Menge, noch irgendeine Macht im 
Himmel oder auf Erden oder unter der Erde. ...<< 


Das Ablegen der Furcht ist sicher mithin die größte und zugleich wichtigste Herausforderung für einen 
Thelemiten. Aus Furcht wird ein Mensch leicht zu Handlungen verleitet, zu denen er sich sonst nicht 
hinreißen ließe. Daher ist Furcht niemals ein guter Ratgeber. Auch ist Furcht immer ein Instrument der 
Macht für üble und korrupte Menschen und Vereinigungen gewesen. Daher ist jeder Versuch der 
Manipulation durch Angst die bösartigste und meist leider sicherste Vorgehensweise. Aber Furcht zu 
überwinden ist die Aufgabe jedes Einzelnen selbst. Denn viele Ängste sind völlig unbegründet und von 


uns selbst erschaffen. Darum hat Meister Therion gesagt : "Furcht ist Versagen und der Vorläufer des 


Versagens; und Mut ist der Beginn des Erfolges." 


Die Umfassende Bedeutung dieses Satzes ist aber, daß wir lernen müssen, uns von äußeren Umständen 
unabhängig zu machen. Lao-Dse sagte, daß der Weise jenseits von Lob und Tadel stehe, und dieser 
Satz meint fast das gleiche. Der einzige Unterschied zur Lehre des Tao ist, daß uns die Welt nicht 
völlig gleichgültig werden soll. Vielmehr soll unser Wahrer Wille zur Richtschnur werden, und dahin 
führt der Weg, indem wir uns von Lob und Tadel, Ablehnung und Ermutigung unabhängig machen. 
Wir neigen sehr schnell dazu, wenn uns jemand kritisiert, gerade mit besonderem Eifer auf dem 
bisherigen Weg weiter zu machen, um zu beweisen, daß wir recht haben, und der andere keinen 
Einfluß kat. Aber dies ist natürlich ein Trugschluß, denn derjenige hat uns ja schon beeinflußt. Der 
Anfang muß also gemacht werden, indem wir hartnäckige Kritiker, die uns immer wieder in solche 
Situationen bringen, aus unserem Umfeld konsequent zu vernbannen. 


Viel tückischer in der Kraft der Verführung ist natürlich das Lob. Wir machen etwas immer wieder, 
weil wir uns Lob und Anerkennung erhoffen. Daran ist aber nichts schön, es ıst ebenso Manipulation, 
wie der Tadel. Nur wer sich innerlich gefestigt hat, und sich immer frei und in Übereinstimmung mit 
Seinem Wahren Willen entscheiden kann, kann sick auch ruhig jede Kritik und jedes Lob anhören. 





















































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Aber die Entscheidung darf man sich niemals aus der Hand geben lassen. Besser aus eigener 
Entscheidung einen Fehler zu machen, als aus Schmeichelei oder Angst den "richtigen" Weg 
beschreiten. Solch ein Weg ist nie richtig, denn nur der Weg der Erkenntnis ist der einzig Richtige, und 
Erkenntnis kann nur durch Erfahrung verinnerlicht und verstanden werden. Und nur in der selbst 
gemachten Erfahrung lernt man sich selbst kennen. Und dies erfordert eben Mut. 


"Aye ! feast ! rejoice ! there is no dread hereafter. There is the dissolution, and eternal ecstasy in the 
kisses of Nu. ... Dost thou fail ? Art thou sorry ? Is fear in thine heart ? Where I am these are not. Pity 
not the fallen ! I never knew them. I am not for them. I console not : I hate the consoled an the 
consoler. 

There is a veil : that veil is black. It is the veil of the modest woman; it is the veil of sorrow, and the 
pall of death . this is none of me. Tear down that Iying spectre of the centuries ! veil not your vices ın 
virtusus wors : these vices are my service; ye do well, and I will reward you here and hereafter.” (II, 
44, 46 - 48, 52) 

>>Ja ! Feiert ! Frohlockt ! Da ist kein Bedauern danach. Da ist die Auflösung und ewige Ekstase in den 
Küssen der Nuit. ... Versagst du ? Bist du traurig ? Ist Furcht in deinem Herzen ? Wo ich bin sind diese 
nicht. Bemitleide nicht die Gefallenen ! Ich kannte sie nie. Ich bin nicht für sie. Ich tröste nicht. Ich 
hasse den Getrösteten und den Tröster. 

Da ist ein Schleier. Dieser Schleier ist schwarz. Es ist der Schleier der züchtigen Frau. Es ist der 
Schleier der Trauer und das Leichentuch des Todes. Dies ist nicht von mir. Zerreißt dieses 
Lügengespenst der Jahrhunderte, verschleiert eure Laster nicht hinter tugendhaften Worten. Diese 
Laster sind mein Dienst; ihr tuet gut an ihnen, und ich will euch belohnen, hier und hernach. << 


Diese beiden Teile drehen sich um ein Thema, und sie beleuchten verschiedene wichtigte 
Schwerpunkte, darum muß ich sie hier vollständig angeben. Zunächst fordert das Liber Legis ın Sinne 
Nietzsches die tatsächliche Umwertung aller Werte. Noch immer betrachtet unsere Gesellschaft Dinge 
wie Demut, Aufopferung, Bescheidenheit, Willfährigkeit und Unterordnung als große Tugenden. Das 
Liber Legis entschleiert diese als Illusion. Jeder Mensch verfolgt nur seinen Weg und verwirklicht sich 
selbst. Daher ist die Verschleierung dieser Bestrebungen hinter alten Tugend - Begriffen ein Betrug an 
sich selbst und anderen. Es sind die Gesellschaften, in der die Männer ihre Frauen hinter sichtbare oder 
unsichtbare Schleier verborgen haben, sie sich gefügig zu machen, um dem Ruhm des Ehemannes 
dienlich zu sein. Dies Verbrechen wird in unserer Gesellschaft allmählich aufgedeckt; aber zahlreiche 
ähnliche Unterdrückungen sind bei uns und in der Welt noch vorherrschend. Trauer, 
Selbstverleugnung, Selbstpreisgabe, Demut und Unterwerfung sind keine Tugenden und sind es nie 
gewesen. Derjenige, welcher so schwach und töricht ist, seinen eigenen Willen und Weg zu 
verleugnen, wie kann er einem anderen auf seinem Weg helfen ? 





Weil aber alles, was ein Mensch wissen und vollenden muß, in jedem selbst liegt, hat es auch keinen 
Sinn, sich selbst um anderer Willen zurück zu stellen. Diese Forderung kann niemals förderlich und gut 
sein, wie gut gemeint sie auch scheinen mag. Hadit, der hier spricht, in ein Symbol für das Höhere 





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Selbst in jedem Menschen. Er ıst kein Gott außerhalb, der straft, gebietet oder erwählt. Viele Christen 
haben ihr eigenes rächendes Gottesbild dadurch verraten, daß sie diese Passagen gegen uns zu zitieren 
suchten. Hadit ist in jedem, ja er ist der Mensch selbst, mehr als alles, was er zu sein glaubt. Daher ist 
er, der trauert, fürchtet oder zaudert, sicherlich uneins mit seinem wahren Selbst. Für die von Hadit, 
d.h. ihrem Selbst, entfernten, den sogenannten "Gefallenen", kann kein Trost und keine äußere Hilfe 
nützen. Nur sie selbst können sich ihrer wahren Natur erinnern und sich wieder erheben. In keiner Art 
sich Freude zu verschaffen liegt etwas Böses. Es ist weder sündig, noch unsittlich noch gefährlich. Es 
muß nur in Übereinstimmung mit dem Wahren Willen sein. Die vieleb sich über die Freude der 
anderen ärgernden sind meist jene, die selbst unglücklich sind, und keinen gönnen, sich zu feuen. Und 
wahrhaft heißt sich Freude zu verschaffen, der eigenen Göttlichkeit zu dienen, aber sich zu erniedrigen 
heißt, diese mit Füßen zu treten. Zugegeben : Jeder Mensch hat das Recht, seine eigene Göttlichkeit 
aufzugeben, und sich mit Trauer, Demut und Selbstzerstörung zu verschleiern. Aber keiner hat das 
Recht irgendeinem anderen diese Göttlichkeit, das Recht auf alle Freuden des Welt und des Himmels 


-abzusprechen. Heil und Heilund eines jeden Menschen liegen nur in ihm selbst. So laßt uns mit aller 
"Macht jene zurückweisen, die uns um unserer Freude verachten. 


"Strive ever to more ! and if thou art truly mine - and doubt it not, and ıf thou art ever joyous | - and 


death is the crown of all !" (II, 72) 
>>Strebe immer nach mehr ! Und wenn du wirklich mein bist - und bezweifle es nicht, so du immer 
freudig bist ! - so ist Tod die Krone von allem.<< 


Man sieht, daß in kurzen Sätzen oft mehr und tieferes liegt, als in langen Beschreibungen. Für die 


meisten dürfte das "Strebe immer nach mehr !" am wichtigsten sein. Es fordert und dazu auf, nicht nur 
vorwärts zu gehen, sondern auch höher. Wenn wir einmal alle Fesseln, die uns von uns selbst trennen, 


erkannt und aufgelöst haben, und uns der Verwirklichung der Freude gewidmet haben, so müssen wir 


auch danach trachten, uns höher zu begeben. Denn wenn wir nur dahinleben und einfach nach dem 


nächstbesten Lustgewinn suchen, sind wir nicht eine Stufe aufgestiegen, sondern haben nur eın 
"Verbrechen gegen eine Narrheit eingetauscht. Die Philosophie von Thelema ist kein Hedonismus, 


vielmehr ist Hedonismus ein Mittel, ein Ziel unter anderen. Daher müssen wir, wenn wir nicht in der 
Verweichlichung der Adeligen unter Ludwig XIV. untergehen wollen, uns immer höhere Ziele setzen 


und wie ein Krieger immer neue Herausforderungen suchen. Nur dann können wir mit dem neu 
gewonnenen Genuß auch wachsen. 


Die Freude gibt uns Kraft, und neuen Herausforderungen zu stellen; durch diese wachsen wir, und sind 


in der Lage uns neuen, verfeinerten Freuden hinzugeben. "Sei nicht tierisch. Verfeinere deine 


- Genüsse.” heißt es auch im Liber Legis. Es ist die rechte Mischung aus Kampf, Herausforderung und 


Stärkung auf der einen und Genuß, Freude und Verfeinerung auf der anderen Seite, welches die Moral 
eines Thelemiten umreißt. Wer immer mit uns sein will, sei stets willkommen. Wahre Freuden und 
Herausforderungen werden durch Teilung nicht geringer sondern mehr. Thelema fordert nicht zu 
Egoismus auf. Es fordert im Gegenteil die Überwindung und Transzendenz des Ichs mit seinen 
Beschränkungen und seine Hinwendung zum innersten Selbst, das jenseits der Bewegung äußerer 
Ereignisse besteht. Wenn jeder so allein in sich selbst verwurzelt ist, ist er erst wirklich in der Lage. 
mit anderen Menschen Gemeinschaftlichkeit zu bilden. In der Tat erfordert Gemeinschaftlichkeit zuvor 
die Verankerung jedes einzelnen in sich. Die größte Gefahr für jeder Gemeinschaft sind zum einen 
jene, die zu wenig in sich gefestigt sind, und wankelmütig jedem Impuls nachgeben, und zum anderen 
die, die meinen Pläne für anderer Leute Glück machen zu können. 


Die immer vorhandene Freude ist keine oberflächliche, grinsende "Licht - Liebe - Lebe” - Philosophie. 
Diese Art von Freude ist nur wenigen bekannt. Wer sie einmal für ein paar Tage erlangt hat, der spürt 






































50 
sie sozusagen ständig im Hintergrund seines Bewußtseins; und gleichgültig welche Emotionen sich 
gerade vordergründig zeigen, so bleibt diese innere Freude immer bestehen. Dies zu erreichen erfordert 
tiefe Einsichten, lange Erfahrung und Hingabe. Und wenn wir so mit innerer Freude fortschreiten, 
immer mehr verfeinertem Genuß und immer größeren Herausforderungen fortschreiten, was könnte da 
das Ziel sein, als die Vereinigung mit allem was was, die größte aller Herausforderungen und zugleich 
der größte aller Ereignisse : auf gewisse Weise der Tod selbst. 


"] give unimaginable joys on earth : certainty, not faith, while in life, upon death; peace unutterable, 
rest, ecstasy; nor do I demand aught in sacrifice." (I, 58) 

>> Ich gewähre unvorstellbare Freude auf Erden; Gewißheit, nıcht Glauben; während des Lebens und 
über den Tod; unaussprechlichen Frieden, Ruhe Ekstase. Und ich erwarte keine Opfer dafür. << 


Hiermit schließt sich der Kreis. Mit den Selbst als einzige Instanz habe ich angefangen, um im wahren 
Selbst liegt auch das Ziel. Es ist Nuit, die Ergänzung Hadits, die hier spricht. Das verwirklichte Selbst 
(Hadit) des Menschen erntet alle Freuden des Alls (Nuit), welchem er aufgeht. In der Erkenntnis und 
der Bewußtwerdung des eigenen Wahren Willen, des Selbstes, liegt alle Freude, Gewißtheit, Rune und 
Ekstase. Die Sicherheit, die die Erkenntnis des eigenen Selbst als vollkommen, göttlich und erleuchtet 
gewahrt, ist etwas ganz anderes, wie irgendwelche Verheißungen aus alten Büchern oder von der 
Kanzel herab. Vom Menschen wird nichts erwartet, kein Opfer, keine Aufgabe, keine Buße. Jeder 
Mensch muß nur sich selbst erkennen, entkleidet aller auferlegten Verhüllungen. 


Das wahrhaftig Üble an der Religion im klassischen Sinne ist, daß sie bestimmte Menschen, nämlich 
ihre Priesterkaste, zum Verwalter des Spiritualität aller machen. Diese Priester machen sich zu den 
Beherrschern über Moral, Weisheit, Erkenntnis, Spiritualität und Selbstverwirklichung. Und hier liegt 
die Befreiung der ganzen Menschheit, welche der Prophet des neuen Äons, der Meister Therion, das 
Große Tier 666 uns allen gegeben hat, indem er jedem Menschen die volle Verantwortung für sich ihm 


allein zugeschrieben hat. Für sein Glück, seine Erkenntnis, seinen Erfolg oder sein Scheitern und vor 


allem seine Spiritualität ist nur ein jeder selbst in der Lage zu sorgen. Niemand sonst kann dir dies 


verschaffen, außer du selbst. 


Kein anderer Mensch, keine Macht, kein Geist und kein Gott können dir dies gewähren oder nehmen. 
Nur du selbst kannst es dir geben oder verwehren; alles andere ist die große Lüge, die nur geglaubt 
wird, weil sie so alt ist, und so oft wiederholt wurde. Denn so verkündete To Mega Therion, der 
Prophet des lieblichen Sterns : 


"Es gibt keinen Gott, außer dem Menschen." 


In der Absicht, eine kleine Veröffentlichung über das Gesetz von Thelema zu verfassen, ist dies nur 
dabei herausgekoınmen. Wenn man sich so lange mit Thelema beschäftigt wie icg, so mag es leicht 
geschehen, daß man den wahren Maßstab dessen, was allgemein verständlich ist, aus den Augen 
verliert. Andere werden sicher die Sätze des Liber Legis ganz anders bewerten. Viele Spezıalisten 
werden meine Aussagen sicher zu oberflächlich oder zu allgemein ansehen; aber ich habe es auch 
weniger für sie geschrieben, sondern eher für jene, die bereit sind, die Wahrheit über unsere 


Claudia M Striewe, Gartenstr. 38, 42107 Wuppertal 





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Vorstellungen zu erfahren, und um diesen einen guten Einstieg zu gewähren. Und auch, um 
Interessierten einen nicht zu umfangreichen Überblick zu verschaffen. 


Das Liber Al vel Legis gehört sicher zu den wichtigsten wie auch am meisten unterschätzten Büchern 
der ganzen Menschheitsgeschichte. Wer sich ausfürlicher mit Aleister Crowleys Problemen beschäftigt 
hat, auch nur die oberflächlichste Bedeutung den Verse zu erkennen, und zugleich sieht, wie 
umfassend gebildet er war, mag eine Ahnung von der übermenschlichen Intelligenz erhaschen, die 


sa ne Minister von Hoor-Par-Kraat, der Verfasser des Buches des Gesetzes, in dieses hinein 
gele 


Diese kleine Abhandlung soll quasi eine Art Katechismus von Thelema sein, und obwohl mancher 
Thelemit diese Ansichten nicht teilen wird, sage ich guten Gewissens, daß in diesem allgemeinen 
Rahmen die Vorstellungen des Meister Therion ziemlich gut getroffen sind. Wer weitergehend 
interessiert St, kann sich im deutschsprachigen Raum mit den offiziellen Vetretern des Argenteum 
Astrum in Verbindung setzen : 
ORDO MAGNA SERPENTE 


(Kontakt über den Verlag) 
Und möge jeder das Woit aus dem Liber Legis bedenken, einem jeden Menschen, und sei er noch so 
kurz da, das Gesetz. weiter zu geben. In diesem Lichte mögen sie verweilen oder nicht. 


LARLI 


MAGAZIN FÜR MUSIK; LITERATUR & KULTUR 





Ä+tSo=-LOGOl * 
Logoi, Forum liberaier Weltanschauung für 
Spirit &Magie mit magischer u. erot. 
Kontaktbörse, für die anderen Hexen, 
Heiden, Schamanen, Wiccas, Druiden, 
Astros, Gnostiker, Gothics, Thelemiten 
usw. die offenen Austausch suchen ohne 
Deckmantel der "Normalität", startet 
vorraussichtliich zum 1.7.00 auf Diskette 
3,5” .Schreibt Eure Themen | Vorgekaut 





















er a wird nix ! Eure Erfahrung zähit, auf der 
Sr anderen Seite der Polarität ! Info gegen 
ee nr frankierten Rückumschlag bei: Logoi, c/o. 
2 De u Fix D. Albert - Postfach: 100 142 - 68001 
Nr. 1, Dezember 1999 : ei: , 9 DM Mannheim. 
Bert RE inkl. 
WINTERSONNENWENDE “Forte A 
EMPYRIUM INTERVIEW . u u 3 = 
THEODOR KITTELSEN.— » ts 


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BUCH- & MUSIKTIPS.. =. 4 —_ en 


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